Mein irisches Tagebuch
rotröckige, spitzhau-bige Regimentspfeifer des 19. Jahrhunderts durch das Langhaus und die Querschiffe, wirbeln britische Schlegel auf überdimensionalen Trommelhäuten zur Einschüchterung der »Eingeborenen«, dröhnt es nur so vom Militärstiefel des viktorianischen Imperialismus und seines Unbesiegbarkeitsglaubens. Aber wenn der durch die Geschichte dann kaum hundert Jahre später auch auf das nachdrücklichste korrigiert werden mußte - hier in St. Patrick’s Cathedral ist die Demonstrationsgier der angloirischen Elite in ihrer Teilhabe an der Hochphase britischer Kolonialherrschaft ungebrochen. Und das in schönster Eintracht mit Gottesfurcht, Bibel und den zehn Geboten, unberührt von all dem Blut, das diese »Größe« genährt hat, eine einzige Illustration jener militärischen Ehrsucht, die als lächerlich und infantil abgetan werden könnte, wenn sie nicht so viele Tote und Verwundete gefordert hätte (und weiter fordert, wenn ihr nicht in den mörderischen Arm gefallen wird).
Wie erinnerlicherweise im Trinity College für den Katechismus auf gälisch aus dem Jahr 1575, so wird auch in St. Patrick’s Cathedral um Publikumsspenden gebeten - die alte Orgel zu restaurieren kostet 200 000 Pfund. »Will you help?«
No, I will not, diesmal nicht, hier nicht, mit keiner Münze, und sei sie noch so klein.
Neill S. bekräftigt meinen Entschluß. Er ist auf eigenen Wunsch draußen geblieben, und zwar mit der lapidaren Begründung: Er und seine Frau seien ein einziges Mal in St. Patrick’s Cathedral gewesen, vor langer Zeit, und das hätte genügt. Nachdem sie das Langhaus, den Chor, den Altar und die Marienkapelle abgegangen wären, hätten sie fluchtartig den Ausgang gesucht. Denn - so Neills Kommentar, als er mich vorhin allein eintreten ließ -: »Sie kommen in keine Kirche, Sie kommen in ein Militärmuseum.«
Wie wahr!
Daß es gewiß nicht Geiz war, was die Church of Ireland um meine Spende gebracht hat, bestätigte diese Stimme:
»An Swifts Grab hatte ich mir das Herz erkältet, so sauber war St. Patrick’s Cathedral, so menschenleer und so voller patriotischer Marmorfiguren, so tief unter dem kalten Stein schien der desperate Dean zu liegen, neben ihm Stella: zwei quadratische Messingplatten, blank geputzt, wie von deutscher Hausfrauenhand. (...) Regimentsfahnen hingen nebeneinander, halb gesenkt: rochen sie wirklich nach Pulver? Sie sahen so aus, als röchen sie danach, aber es roch nur nach Moder, wie in allen Kirchen, in denen seit Jahrhunderten kein Weihrauch mehr verbrannt wird; es war mir, als würde mit Eisnadeln auf mich geschossen, ich floh, entdeckte erst am Eingang, daß doch ein Mensch in der Kirche war: die Putzfrau, die mit Lauge den Eingang aufwusch, sie machte sauber, was sauber genug war.«
Heinrich Böll, »Irisches Tagebuch«.
Das »andere Irland«.
No surrender - keine Übergabe
Paul O’Connor, dreißig, ist untersetzt, drahtig, hat ein unverwechselbar irisches Gesicht und spricht nahezu akzentfrei deutsch - nur daß er »nit« statt »nicht« sagt, das Erbe eines fünfjährigen Aufenthalts in Mannheim als Krankenpfleger.
»Gastarbeiter!« sagt er grinsend, als ich ihn im Bookworm kennenlerne, einer Buchhandlung in der Bishop Street 18 im Zentrum von Londonderry. Dort ist auch die Geschäftsstelle der katholisch-republikanischen Menschenrechtsbewegung.
Es gibt Personen, zu denen man sofort Kontakt hat, ohne jede Vorverständigung - so ergeht es mir mit Paul O’Connor. Er schaut einem freundlich in die Augen, ist trotz seines Ernstes immer zu einem lustigen Lächeln bereit, wägt seine Worte und läßt eine scharfe Intelligenz erkennen.
Wir gehen die Straße hinunter zum Bishop’s Gate, einem der vier Tore in der Mauer um den historischen Stadtkern, und betreten den Wall auf der Höhe von St. Columb’s Cathedral, lokales Wahrzeichen der Church of Ireland. »Es ist die erste protestantische Kathedrale, die nach dem Bruch Heinrichs VIII. mit Rom im englischen Machtbereich neu erbaut wurde«, sagt Paul, »1628 bis 1633.« Drinnen dunkles Gestühl, Kühle, Flaggen - ich bin froh, rasch nach draußen in die Wärme des Sommermorgens zu entkommen.
Oberhalb der Artillery Street sind Kanonen auf der Mauer postiert, schwarzglänzende Ungetüme mit längst verstummten Schlünden, darunter die »Roaring Meg«, ein besonders schweres Stück, das bei der Belagerung der Stadt durch den katholischen König James II. 1688/89 in den Händen der protestantischen Verteidiger
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