Mein irisches Tagebuch
bewaffnete Gegner gegenüber - die paramilitärischen Ulsterverbände, die Soldaten und die Polizei, die RUC.
Wir waren die underdogs, auf die man nach Belieben einprügeln durfte, und in allem benachteiligt, bei der Verteilung von Arbeit, von Wohnungen und bei der Anwendung von Sozialgesetzen. Auf nicht einer Ebene sind wir gleichberechtigt behandelt worden. Im übrigen: Tatsächlich, historisch begann die gewalttätige Auseinandersetzung nicht am 12. August 1969, sondern am 5. Oktober 1968, während einer Demonstration der Bürgerrechtsbewegung in der Bogside mit der Forderung one man one vote, also jeder Bürgerin, jedem Bürger eine Stimme. Der Marsch war vom damals noch rein unionistischen Gemeinderat von Derry im letzten Moment verboten worden. Darauf umkreiste die Polizei den Zug und griff die Demonstranten mit Gummiknüppeln an. Diese Attacke löste tagelange Straßenschlachten aus, und sie waren der eigentliche Anfang der troubles. Damals war Derry zum erstenmal weltweit im Fernsehen. Hier fand die Initialzündung der gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen britischen Unionismus und republikanischem Nationalismus statt.«
»Stopp!« Ich muß das Band wechseln.
Was an diesem Abend hier in der Grafton Street an Monologen und Dialogen aufgenommen worden ist, wird wörtlich wiedergegeben, mit der Ausnahme, daß Paul O’Connors »nit« in das hochdeutsche »nicht« umgewandelt wird.
»Kann ich weiter sprechen? Also - aus all diesen Gründen sind wir erbittert, wenn von den Unionisten am 12. Juli die Schlacht am Boyne gefeiert wird und damit eine jahrhundertelange Vorherrschaft der Briten, die in diesem Teil Irlands bis in unsere Tage andauert. Alles das, was die Protestanten Nordirlands im Fall einer Vereinigung mit der Republik fürchten, daß sie ausgeschlossen, an Einfluß beschränkt, wirtschaftlich und politisch entmachtet würden - all das haben sie uns Katholiken wieder und wieder zugefugt. Und die Schlacht am Boyne ist das historische Fanal dafür.«
»Aber inzwischen hat sich, wie du selbst sagtest, doch viel geändert? Was?«
»Zum Beispiel das allgemeine Wahlrecht - one man one vote -, also daß wir wählen können und daß sich die Wohnungssituation gebessert hat, nicht viel, doch immerhin. Im Rathaus von Derry stellen wir die Mehrheit, die Stadt zählt heute etwa ioo ooo Einwohner. Im Zuge dieser Entwicklung hat sich aber eine Polarisierung vollzogen, denn eigentlich gibt es heute zwei Städte mit dem Namen Derry, eine auf dieser, der linken Seite des Foyle River, und eine an seinem rechten Ufer, Waterside. Dahin sind in den letzten zehn Jahren 18 000 von 20 000 Protestanten gezogen, also nur 2000 auf der rechten, größeren Seite des Flusses geblieben in einem Extraviertel - The Fountain. Derry ist eine geteilte Stadt, ein Mikrokosmos des geteilten Ulster. Nur daß jetzt die Protestanten hier die Minderheit sind.«
»Und doch ist die Situation besser geworden?«
»Ja, akut in erster Linie durch den Waffenstillstand, dann aber auch durch bestimmte Wandlungen innerhalb des katholischen Volksteils. Du erinnerst dich, was ich dir von dem Wachtturm berichtet habe mit den Spiegeln und der fiktiven Auktion? Wir haben inzwischen ein ganz anderes Selbstbewußtsein aufgebaut, fühlen uns nicht mehr ängstlich, belagert, sondern eher als eine innerlich befreite Widerstandsgemeinschaft, die der äußeren Befreiung entgegenstrebt...«
»... also genau das, was die Protestanten fürchten?«
»Das brauchen sie nicht.«
»Und wieso nicht?«
»Schau doch in die Republik - dort hat die protestantische Minderheit von wenigen Prozent seit siebzig Jahren einen ungeheuren Einfluß.«
»Genau den fürchten die Unionisten im Fall der Vereinigung von Nord- und Südirland als Minderheit zu verlieren.«
»Aber sie wären doch eine große Minderheit! Ganz Irland hat fünf Millionen Einwohner, davon wären eine Million Protestanten.«
»Was tut ihr, um ihnen solche Ängste zu nehmen?«
»Nicht genug. Aber es geht heute nicht darum, Irland zu vereinen - erst einmal muß Ulster vereint werden.«
»Und wie?«
»Es müssen neue Strukturen ran, in denen beide, Protestanten und Katholiken, mitmachen, niemand darf den anderen dominieren. Wir müßten, zum Beispiel, die irische Flagge weglassen und die irische Nationalhymne, wir müßten die protestantischbritische Identität anerkennen, wie sie die unsere. Nationalität dürfte nicht im Weg stehen. Falls eine Mehrheit von Ulster bei England bleiben will, und so
Weitere Kostenlose Bücher