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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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ihre Standarten auf, darunter eine, die an die Sommeschlacht des Ersten Weltkriegs erinnert, auch das eine Demonstration unlösbarer Verbundenheit mit der Geschichte Großbritanniens.
    Schwer sind sie, diese Banner, die eines nach dem anderen vorbeigetragen werden, an großen Querstangen befestigt und gebläht von der heißen Zugluft der Straßenschlucht - die körperliche Anstrengung der Männer, die sie halten, ist groß. Dazu immer wieder die aufgereckten Säbel in der rechten Faust der Marschierer; ihre Regenschirme, die wie Ersatzdegen gehand-habt werden; die unbeweglichen Gesichter, die steife Haltung, diese ganz ununterdrückbare, äußere und innere, sich auf Schritt und Tritt offenbarende Verkrampfung.
    Fast beklemmender noch die vielen Kinder, die Kleinen und Kleinsten, die hier mitmarschieren, besonders unheimlich gerade da, wo sie die Großen geradezu perfekt nachahmen.
    Vor mir ein Knirps, der einen Stock über Rücken und Schultern wirbelt, nach oben und unten und dann noch durch die Beine hindurch und zurück, als habe er von Geburt an nur das gelernt. Andere, nicht älter und nicht größer, vorschulische Tambourmajore, schmeißen ihre gestutzten Stäbe so routiniert in die Luft wie ihre Väter, lassen sie in artistischen Verrenkungen um ihre Körper kreisen und verlieren dabei nicht eine Sekunde den Kontakt mit dem Zug.
    Spaß macht es ihnen, obschon ihre Beinchen das Vierfache zu leisten haben wie die der Erwachsenen, Freude haben sie, und das jenseits aller Doktrination, in die hier alles zum Greifen eingedickt ist, deren sich aber diese Kinder selbstverständlich noch nicht bewußt sind.
    Nur manchmal, wenn der Zug hält, was ebenso häufig wie aus unerfindlichen Gründen passiert, setzen sie sich auf ihre Trommeln oder einfach auf den Boden, lassen die Köpfchen baumeln, springen aber rasch wieder auf und imitieren auch damit ihre elterlichen Vorbilder. Denn die stehen bei den langen Stopps in tadelloser Haltung kerzengerade da und verharren stumm, ohne jedes Anzeichen äußerer Erschöpfung auf ihrem Platz.
    Unter den erwachsenen Zuschauern am Straßenrand dagegen haben sich im Lauf der Stunden doch leise, mühsam unterdrückte Ermüdungserscheinungen eingestellt, während jüngere Jahrgänge sich weniger verschämt gebärden. Um elf hatte der Junge neben mir gegähnt und seinen Kopf an die Schulter des Vaters gelehnt. Gegen zwölf schien er von der Parade endgültig genug zu haben, denn da lag er an der Schulter der Mutter, die ihn in den Schlaf zu wiegen versuchte. Jetzt, gegen zwei Uhr, schläft der Junge seit einer Stunde, nun wieder vom Vater gestützt und taub gegen alle Geräusche der Umwelt.
    Das ist um so verwunderlicher, als in all der Zeit Trommeln und Pfeifen ununterbrochen einen Lärmteppich gelegt haben, dessen Höllendezibel nicht mehr zu messen sind. Hier sind ganze Batterien von Trommeln vorgeführt worden, eine lambeg drum immer größer, immer schwerer, immer dumpfer als die vorangegangene. Waffen sind das, noch einmal, keine Trommeln, und sie werden hier auf der Zentralparade des Orange-Ordens, an seinem großen Tag, noch ungehemmter vorgeführt als an der Drumcree Church von Portadown, Horrorgeräte, die nach allen Seiten Kriegsgeschrei, Furcht und Schrecken verbreiten sollen.
    Und doch wird diese Kakophonie noch übertroffen, dringt etwas noch tiefer ins Gehör und von da ins Hirn, nistet sich in jede Pore ein - der Schärpenmarsch des Orange-Ordens, die Hymne der nordirischen Loyalisten, die Kampfposaune der Ulster-Unionisten - The Sash!
    Das saugt sich fest, macht sich innerlich selbständig, eine akustische Zwangsneurose, die sich auch in den Spielpausen fortzeugt - The Sashl
    Der zivil-militante Heerwurm der Ordensleute, der sich vom Carlisle Circus aus in Bewegung gesetzt hat, hält genau seinen Takt, der ganze Zug ist in Übereinstimmung mit seinem Rhythmus, jeder falsche Schritt, jede verkehrte Gebärde werden sofort korrigiert von seiner akustischen Allgegenwart - The Sash!
    Es wird lange dauern, bis man diesen schrecklichen Ohrwurm aus sich heraus vertrieben hat.
    An diesem Tag scheint sich die City von Belfast vollständig in den Händen des protestantischen Bevölkerungsteils zu befinden. Bis in den Abend hinein sind hier die Orange-Leute zu sehen, woher sie auch immer nach dem Ende des Marsches kommen und wohin sie gehen werden. Längst ist seine Ordnung aufgelöst, aber wo sie sich auch blicken lassen, schreiten sie so exakt, sitzen ihre Bowler und Säbel so

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