Mein irisches Tagebuch
Loyalisten und Unionisten einerseits und seinen Nationalisten und Republikanern andererseits.
Als ich endlich in mein Quartier zurückgehe, widerspiegelt sich der Glutschein des bonfire in einer Ladenscheibe der Great Victoria Street, furchterregend echt wie ein zweites Feuer.
The Sash
Dann der Morgen des 12. Juli, Auftakt zum großen Marsch des Orange-Ordens in Belfast.
Da ziehen sie mit Bannern, weißen Handschuhen, Pfeifen und Trommeln die Great Victoria Street am Hotel »Europe« vorbei, die Magdalene Church Defenders - wirbelnde Schlegel, wippende Schottenröcke, rote Kokarden auf tief in die Stirn gedrückten Mützen, patinierte Union Jacks, wie Trophäen in die Höhe gehalten, daneben das aggressive Rot des Ulsterkreuzes. Dunkelgekleidete Herren mit Bowler und Regenschirm werfen bei jedem Schritt den rechten Arm an die Brust; Kinder in grüner Uniform bedienen Miniaturtrommeln; ein kleines Mädchen, von Windpocken gezeichnet, hält Wacht über ihr noch kleineres, aber entschlossen mitmarschierendes Brüderchen, während eine Zehnjährige, lange Haare bis zum Steiß und in augenschmerzendes Lila gekleidet, ab und zu mit einem Stab gegen eine Triangel schlägt.
Das dröhnt und schrillt und klirrt.
Die Sonne scheint, alle Nebenstraßen der Great Victoria Street sind gesperrt, und hoch über allem, wie an den Himmel genagelt, das monotone Gebrumm eines Hubschraubers.
Vorneweg ein Tambourmajor mit Tropenhelm, dahinter eine gewaltige Trommel mit der Aufschrift »William King Memorial«, biegt jetzt da unten der Zug in die Howard Street ein und marschiert, vorbei an der City Hall, zum zentralen Sammelpunkt am
Carlisle Circus. Von dort wird er mit allen anderen lokalen und regionalen Ordensgruppen zum großen Defilee zurückkehren und durch die City stolzieren - der eigentliche Höhepunkt eines historisch-politischen Gedenktags, hinter dem fast die Hälfte der nordirischen Bevölkerung nicht steht.
Ich setze mich kurz vor der Castle Street auf eine Bank am Donegall Place (kein Platz, sondern die Hauptstraße in der Belfaster Innenstadt). Links die City Hall, rechts ein junger Mann, der an paniertem Geflügel knabbert. Alle warten auf den Augenblick, wenn von der Royal Avenue her die Spitze des Orange-Aufmarsches zu sehen sein wird.
Lange vorher schon, immer näher kommend, zu hören, wird sie gegen zehn Uhr auch sichtbar - ein Bentley, die Ulsterfahne über die vornehme Motorhaube gespannt, in majestätischem Schrittempo, dahinter Knaben mit Unschuldsgesichtern, kleine Kadetten, weiße Gürtel, blaue Hosen, und hell gewandete junge Mädchen mit Harmonikas - die Vorhut.
Dann erst geht es richtig los.
Trommeln, Pfeifen, Schellen. Tambourmajore werfen ihre Stäbe hoch in die Luft, gehen weiter und fangen sie mit einer Hand wieder auf - ohne aufgeschaut zu haben. Einer von ihnen, vor sich zwei kleine Jungen, wirft den Stab buchstäblich haushoch, bis zu den oberen Stockwerken des Donegall Place, fängt das schwere Gerät spielend auf und schleudert es sofort wieder zurück. Das ist von einer unglaublichen Virtuosität und Könnerschaft, die mir aber um so heftiger zusetzen, je intensiver ich ihrer Zeuge werde: falsch landend, könnte der schwere Stab einen menschlichen Schädel so leicht zertrümmern wie ein Ei. Doch kein einziges Mal verfehlt eine Hand den Zugriff, fällt der Stab auch nur auf die Erde - eine phantastische Sicherheit, die auf ausdauerndes Training übers Jahr hin schließen läßt.
Mit Karneval und Schützenfest hat dieser Umzug nichts zu tun, nur zu bald kehren sich die grimmigen historischen Akzente des Gedenkmarsches heraus.
In immer neuen Variationen Wilhelm von Oranien, Held vom Boyne River, Sieger am 12. Juli 1690, auf Standarten, Fahnen, Wimpeln. Auf einem Banner gestickt der Kopf von Louis Mountbatton of Burma, »killed 1979* - ein weltbekannter Mordanschlag der IRA, dem der Earl aus dem Hause Windsor, ehemals Vizekönig von Indien, Erster Seelord und Stabschef der britischen Flotte, am 27. August jenes Jahres in der Bucht von Sligo zum Opfer fiel.
Ein anderes Banner: »MacMullan Memorial - Murdered by enemies of the Empire«, darunter abgebildet ein Mann mitderen Alters mit Brustschärpe, ohne Datum, ohne Erklärung, wer das war, der da von Großbritanniens Feinden gemeuchelt worden ist - Codewörter für Insider, Eingeweihte, für Leute, die sich in wortloser Verschwörung verstehen.
Besonders häufig vertreten ist die Ordensgruppe von Ballymacarett, immer wieder tauchen
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