Mein irisches Tagebuch
hinaus, so, wie es die mächtigen Helden der Vorzeit taten, und machten uns auf den Weg durch die Meerenge. Das Licht des Leuchtturms wurde eben entzündet, als wir den Hafen verließen. Unsere beiden Boote flogen dahin, bis wir den Landeplatz der Westinsel, wie wir die Blasket-Insel immer nennen, erreicht hatten. Es wurde schon Tag, als wir unsere Häuser erreichten.«
Als Tomas O’Crohan 1937 einundachtzigjährig starb, fuhren die Boote schon lange nicht mehr aus. Aber er hatte sein Werk getan: Er hatte der Nachwelt einen sonst unwiederbringlich verlorenen Ausschnitt irischer Sozial- und Kulturgeschichte erhalten.
Paddy Cotton, das ist wahr, könnte höchstens ein Enkel von Tomas O’Crohan sein, dennoch wollte ich an ihm noch gewisse Ähnlichkeiten entdecken. An seinem Sohn, dem Mann auf dem Trecker, so kurz ich ihn gesehen hatte, schon nicht mehr, kein Fünkchen.
Das sind die Zusammenhänge, die mich heute auf die Paßhöhe von Slea Head befördert haben, um »seine« Blaskets in Augenschein zu nehmen und ihnen so nahe zu kommen wie möglich. Schiffe, hatte ich erfahren, setzen Besucher nicht mehr über.
Dafür aber ist sie jetzt, in einer Regenpause, gut zu sehen, die Great Blasket da drüben, getrennt vom Land nur durch den schmalen Blasket Sound und an drei Seiten von ihren Trabanteninseln umlagert. Die Seite, die dem Land zugewandt ist, läßt von hier über dem Strand einige Häuser auf Klippen erkennen. Ich suche nach Menschen, nach Schafen und Rindern, entdecke aber keine, auch nichts anderes, was sich bewegt.
Vogelschwärme, erst über Inishnabro, dann über Inishvickillane, die südlichste der Blasketgruppe, von der es heißt, ihre Spitze reiche noch ein paar Meter weiter hinein in den Atlantik als die Nachbarinseln.
NurTearaght Island bleibt unbestritten der westlichste Punkt, ein konkurrenzloser Aspirant bei der scherzhaften Suche nach der »Gemeinde, die Amerika am nächsten liegt« - wenn es auf der Insel je eine gegeben hätte. Tatsächlich sandte der Leuchtturm auf ihren Klippen unzähligen irischen Auswanderern nur Europas letztes Licht vor der großen, ungewissen Überfahrt.
Weit rechts die Brandung von Clogher Head, näher die weißen Gebäude von Dunquin, das so häufig in O’Crohans Buch erwähnt wird, und jetzt, von einer Minute auf die andere, der eben noch helle Himmel verdunkelt, Schauer über der See, Schwärze schon am Nachmittag - Zeit zurückzufahren.
Ich drehe mich um, will den Wagen besteigen - und erschrecke. Erschrecke hier auf der Paßhöhe von Slea Head vor etwas, das ich, bisher immer mit dem Gesicht zur See, nicht wahrgenommen hatte, obschon es unübersehbar ist und die ganze Zeit in meinem Rücken war, eine deshalb nun geradezu schockhafte Konfrontation. Vor der Felswand eine Vierergruppe aus Stein - Jesus am Kreuz, die große Figur über und über weiß, nur da, wo die Nägel sehr naturalistisch durch Hände und Füße getrieben sind, sind die Wundmale rotgefärbt. Vor dem Gekreuzigten drei Frauengestalten, demütig, dienend, trauernd unter der Inschrift INRI - Jesus Nazarenus Rex Judorum (Jesus von Nazareth, König der Juden).
Es ist ein Anblick, der mich umwirft. Nicht der Wind tut es, sondern diese exhibitionistische Demonstration des christlichen Urmartyriums, diese sturmumtoste Religionsinbrunst und ihr Irland, auch heute noch - das ist es, was mir hier oben schier den Atem verschlagen will.
Jetzt prasselt auf die schutzlose Gruppe Hagel herab, dessen Körner sich in dicke Tropfen verwandeln, ehe der Himmel unvermittelt aufreißt und die Sonne hervorbricht - four seasons on a monday!
Und da plötzlich sehe ich sie, in der klaren Luft an Kerrys Spitze, nur hauchdünn östlicher gelegen als die Blaskets und, obwohl von Slea Head gut vierzig Kilometer entfernt, grell verraten durch ihre schäumenden Gischtkränze - Skellig Michael und Litde Skellig!
Fast schon ein heimatliches Bild für mich.
Mein irisches Tagebuch II
17. März.
St. Patrick’s Day, der Tag des irischen Nationalheiligen.
Es hat die ganze Nacht gestürmt. Von den Skelligs ist heute morgen nichts zu sehen, Puffin Island von Gischtschwaden bestäubt.
Wolkenkratzer von Wogen werfen sich gegen die Steilkante der St. Finan’s Bay, bis Kap Bolus. Das zerplatzt, zerschellt, läuft sich wund, brüllt wieder an, gibt sich nicht geschlagen - Riesenfontänen, wie surrealistische Wasserblumen.
Auf der Weide bis zum Kliff haben sich Maureens Schafe hinter einer niedrigen Mauer
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