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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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niedergelassen, nur ein paar Böcke halten sich auf den Beinen, schwankend und die Wolle so gesträubt, daß sie fast doppelt so groß wirken wie sonst.
    Das Heulen des Windes klingt bedrohlich, das Haus erzittert, Orkanstärke - im Radio wird Warnung für das ganze Land durchgegeben. Wie sollen dabei die Umzüge zu Ehren des Heiligen Patrick vor sich gehen, wie der in Cahirciveen, den ich gern miterleben würde?
    Gegen zehn Uhr fahre ich los.
    Hinter der Kirche verwandelt sich die Landschaft sekundenschnell in eine Eis- und Hagelwüste. Schrittempo. Was von oben herunterkommt, fallt so dicht, daß die Berghänge verdeckt sind. Aber wenig später, hinter dem Kamm, treiben die Wolken weg, irgendwohin, wölbt sich ein strahlend blauer Himmel, liegt die Ebene bis zum Bentee Mountain, an seinem Fuß Cahirciveen, in flutendem Licht da. Die Luft ist so klar, daß alles wie durch ein Fernglas näher gerückt scheint. Jenseits des Portmagee-Kanals, wie auf dem Präsentierteller, die weißen Häuser von Knight’s Town auf Valentía Island und der Leuchtturm auf Beginish Island.
    Aber der Wind ist geblieben, und die Sonne wird wohl nicht mehr lange scheinen.
    Ich lasse den Wagen weit vor Cahirciveen stehen - die Hauptstraße ist schon an der Peripherie verstopft. Überall formieren sich Gruppen für den Umzug, darunter für die Witterung erschreckend leicht bekleidete Frauen und Mädchen. Offenbar bleibt man bei festen Gewohnheiten, was bedeutet, daß zu dieser Jahreszeit gewöhnlich höhere Temperaturen herrschen. Der diesjährige Winter, hatte Maureen sich gestern erinnert, sei der härteste und längste in ihrem Leben.
    Offenbar unbeeindruckt davon im Weichbild der Ortschaft Stimmengewirr, Lärm, Musik, Vorfreude.
    Ein Mann zieht an einer Strippe, mehrere Male vergeblich, und klatscht dann freudig in die Hände, als im Karren vor ihm eine kleine Maschine lostuckert. »Ein Paraffinmotor aus den zwanziger Jahren«, befriedigt er bereitwillig meine Neugierde, »nicht erfolgreich, aber umweltschonend.«
    Reiter hoch zu Roß, darunter ein Fünfjähriger. Er sitzt so leicht und sicher im Sattel, als wäre er darauf geboren worden.
    In den Schaufenstern die irische Fahne, grün, weiß und orange, dazu überall das Kleeblatt, shamrock, Irlands Nationalemblem.
    Einige Geschäfte haben geschlossen, andere nicht. Bowler’s Food Market bietet Kohl und Steckrüben feil, Banks läßt den Zutritt zu den Süßigkeiten frei, und beim Juwelier Sally’s Alley -»Fashion, accessoirs, accessories« - steht die Tür einladend offen. Grudel’s wünscht all seinen Gästen »A happy St. Patrick’s Day and very happy easter«, und O’Sheas »Bed and breakfast«-Schild klappert heftig. Nur der graue Freiheitskämpfer trotzt mit vorgehaltenem Gewehr unbeeindruckt Wind und Wetter. Dabei stürmt es so stark, daß sich die Stechpalmen vor Cahirciveens mächtiger Kirche biegen, als sollten sie entwurzelt werden.
    Der Gottesdienst beginnt pünktlich um zwölf Uhr, die Bänke in dem beheizten Schiff sind fast voll besetzt. Es wird hier drinnen mal hell, mal dunkel, gerade wie die Sonne kommt und geht, und ehe ich mich’s versehe, knie ich wieder mit den anderen nieder. Männergesichter wie aus Holz geschnitzt, unter den Mädchen ein Madonnenantlitz.
    Und dann mache ich hier eine Beobachtung, die eine vorangegangene in der Kirche von St. Finan’s Bay bestätigt.
    Zwei Reihen weiter vorn hustet ununterbrochen ein Kind, ohne daß ringsum auch nur das geringste Zeichen von Unwillen oder Arger geäußert wird. Direkt vor mir versucht ein junges
    Ehepaar, seinen Dreijährigen in Zaum zu halten. Er hantiert mit einer schwarzen Kette, an der ein Silberkreuz hängt, verliert sie und sucht nun danach. Zwei alte Herren helfen ihm dabei, finden das Kreuz, händigen es dem Kleinen aus und heben ihn auf die Bank zurück zu den Eltern, wo das Spiel von neuem beginnt. Aber andere als liebevolle Reaktionen entdecke ich nicht.
    Bei dem Gedanken, wie sich bei gleicher Situation in Deutschland verhalten worden wäre, ziehe ich den Kopf ein.
    Die Predigt wird teils in Englisch, teils in Gälisch gehalten. Das einzige, was für meine Ohren in beiden Sprachen phonetisch annähernd gleich klingt, ist »St. Patrick« und »Padraig«, vielleicht weil der altirische Name des Heiligen von dem Priester da vorn mit sehr britischem Akzent ausgesprochen wird. Bei der zehnten Wiederholung höre ich auf zu zählen.
    Gegen ein Uhr ist der Gottesdienst aus. Über der Gemeinde liegt

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