Mein irisches Tagebuch
die einen, wenigen, in den Städten und auf ihren immer zahlreicheren Burgen, die anderen, die Masse der Bevölkerung, auf dem Lande. Aber alle noch unter dem Zepter eines gemeinsamen Glaubens - des katholischen.
Es setzt ein ungeheurer Aufschwung ein, des Handels, des Handwerks, der klösterlichen Bauten, der urbanen Gemeinden und des Münzwesens. Gleichzeitig verschärfen sich die Restriktionen durch die Krone, wird die gälische Sprache verboten, das Tragen irischer Kleidung, der Besuch von Schulen und Universitäten, die Ehe zwischen irischen Ureinwohnern und den Besatzern.
Dennoch geht im anglonormannischen Adel ein langsamer Verselbständigungsprozeß vor sich, passen sich die Herren den Sitten und Gebräuchen des okkupierten Gebietes und ihrer
Bewohner an, wird ihre Herrschaft, so fern von London, immer unabhängiger. Die Präsenz der Krone begrenzt sich im 14. und 15. Jahrhundert nur noch auf den sogenannten Pale, einen mit Grenzpfählen eingezäunten halbkreisförmigen Siedlungsbezirk um Dublin.
Die Reaktionen der englischen Könige auf die Einschränkung ihrer Macht werden ein neues, furchtbares Kapitel irischer Geschichte einläuten.
Zuerst wird Anfang des 16. Jahrhunderts unter König Heinrich VII. die Herrschaft der drei anglonormannischen Dynastien der Earls of Desmond, Ormont und Kildare gebrochen, ehe sein Nachfolger, Heinrich VIII., sich 1541 zum König von Irland ausruft - die Ära der direkten Intervention Londons in die Geschicke Irlands hat begonnen. Die Katastrophe für das katholische Land ist deshalb so perfekt, weil der politischen Unterdrückung im gleichen Glauben nun die konfessionelle Fremdherrschaft folgt: Heinrich VIII. ist nach seinem Abfall von Rom im Jahr 1535 auch das Haupt der von ihm gegründeten Anglikanischen Kirche. Unter dem politischen Primat der Krone übernimmt die Church of Ireland die religiöse Oberherrschaft über eines der ältesten katholischen Länder der Erde.
Damit hat ein Konflikt begonnen, dessen Auswirkungen die Geschichte der Insel bis in das 2i.Jahrhundert hinein begleiten wird: der Gegensatz zwischen englischem Protestantismus und irischem Katholizismus. Dieser wird von nun an fast 400 Jahre lang der schwächere Teil sein. Ausgenommen das Deutschland des Dreißigjährigen Kriegs, wird von dem Kampf zwischen Reformation und Gegenreformation kein Land so geschüttelt wie Irland.
Der entscheidende Tag ist der 12. Juli 1690, die Schlacht am Boyne, in der Englands katholischer König James II. geschlagen wird von den Truppen Wilhelms von Oranien (William of Orange, dem zukünftigen König William III.). Mit diesem militärischen Initialdatum ist ein weiteres Kapitel, sozusagen das moderne Stadium in der Unterdrückungsgeschichte Irlands, eingeläutet - die systematische Entrechtung und soziale Deklassierung der Bevölkerung, die ausgeklügelte Ausbeutung vor allem der Bauern. Was der anglonormannischen Herrschaft nur unvollkommen gelungen war, die absolute Machtdurchdringung, gelingt jetzt einem Britannien, das sich zum größten Kolonialreich aller Zeiten mausert und sich nicht scheut, seine reichen Repressionserfahrungen in anderen Kontinenten nun auch auf ein Volk zu übertragen, das das Unglück hatte, sein nächster Nachbar zu sein.
Es bricht die Ära der Penal Laws an, Strafgesetze, mit der die Fremdherrschaft verewigt werden soll. Iren dürfen keine Schulen besuchen, keine Pferde besitzen, keine Waffen tragen und ebensowenig Land erwerben (einzige Ausnahme: wenn die Witwe oder die Söhne zum Protestantismus übertreten). Innerhalb weniger Generationen, von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, verringerte sich der Bodenbesitz in irischkatholischer Hand von neunzig auf fünf Prozent, verwandelte sich die irische Agrargesellschaft in ein starres System von englischen Großgrundbesitzern und irischen Kleinpächtern. Starb der Vater, so mußte der Boden unter die Söhne verteilt werden, was zu immer stärkerer Parzellierung führte.
Die Folge war eine kollektive Verarmung der Landbevölkerung, die den Schöpfer von »Gullivers Reisen« und protestantischen Dekan an Dublins St. Patrick’s Cathedral,Jonathan Swift, im Jahr 1700, also noch bevor die Verelendung ihren Höhepunkt erreicht hatte, schreiben ließ: »Wer durch Irland reist und die Gewohnheiten bzw. die Behausungen der Einheimischen betrachtet, der wird kaum glauben, in einem Land zu sein, das sich zu Gesetz, Religion, Menschlichkeit bekennt. Irlands Landpächtern geht es
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