Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
Vom Netzwerk:
Weißdornstrauchs umklammert werden.
    Dann plötzlich, hinter Watde Bridge, verwandelt sich die irische N 54 in die britische A 3, und ich bin im Distrikt Fermanagh, Ulster, ohne es bemerkt zu haben - es gibt hier keine Sperre mehr. Die habe ich noch von früher in Erinnerung, aber jetzt ist die Straße frei und glatt und ohne Schranken - das Werk des von der IRA angebotenen und bis zur Stunde dieser Niederschrift eingehaltenen Waffenstillstands vom 31. August 1994.
    Sind an der Grenze der Republik Irland zu Nordirland inzwischen alle Straßensperren weggeräumt? Von Watde Bridge bis zu dem nur acht Kilometer entfernten Clones wechselt die N 54 dreimal in die A 3, aber an keinem Übergang finde ich auch nur die Spur eines Hindernisses. Hier, wo sich schmale Landbuchten beiderseits förmlich in den anderen Staat hineinbohren, wo die eine Guerilla der anderen ohne weiteres in die Flanke fallen konnte, wo es also keinen mehr oder weniger geraden Grenzverlauf gibt, gerade hier hatte permanent die allerhöchste Alarmstufe geherrscht. Jetzt davon nichts mehr.
    Aber dann, hinter Monaghan, auf der Straße nach Armagh, dort, wo aus der N12 die britische A 3 wird, bei Middletown, ist der so lang gewohnte Anblick wieder da: Bodenschwellen -»Danger Ramp ahead« -, Sandsäcke, Betonmauern, Wachttürme, die oben in engmaschige Drahtkäfige übergehen, und auf Schildern der Befehl, die Scheinwerfer auszuschalten - »Switch off headlights« - die ganze martialische Fortifikation des nordirischen Bürgerkrieges in seiner vollen Montur.
    Aber doch auch wieder nicht - denn die sonst stets geschlossene vordere Schranke ist hochgezogen und nirgends eine Uniform zu sehen, weder die der Royal Ulster Constabulary noch die der Armee, während es früher hier wie an den anderen Kontrollstationen nur so gewimmelt hat von nordirischen Polizisten und britischen Soldaten.
    Dennoch ist die mächtige Sperranlage nicht unbemannt, ihre Funktion nicht völlig außer Kraft gesetzt, denn lautlos und ferngesteuert - »remotely operated barrier« - verfolgt eine hoch an einem Wachtturm befestigte automatische Kamera meinen Weg durch den Kontrollpunkt.
    Kurz dahinter ein Hinweisschild: »Armagh 10 km«.
    Die Gegend zwischen dieser Stadt, die mit den Spitzen ihrer protestantischen Kirchtürme herübergrüßt, und dem Grenzverlauf bis Dundalk ist »Mörderdreieck« genannt worden, weil hier die Paramilitärs der Untergrundorganisationen einige der blutigsten Massaker an Zivilisten in der blutigen Geschichte des Nordirlandkonflikts angerichtet haben.
    Am Eingang von Middletown komme ich mit einem Einwohner ins Gespräch, einem stämmigen Mann mit bloßen Armen, Maurer von Beruf, wie er bereitwillig mitteilt, hier geboren, Protestant, »aber mit katholischen Freunden«, setzt er nach. Auf meine Frage, wie denn im Ort das Verhältnis zwischen den Angehörigen der verschiedenen Konfessionen während der letzten 25 Jahre gewesen sei, antwortet er: »So schlecht nicht« -»Not to bad« -, gibt aber Spannungen zu, die vor 1969 nicht offen zutage getreten waren. »Nie jedoch ist es bei uns zu
    Zuständen gekommen wie in Belfast, Londonderry oder« - er weist mit dem Daumen über die Schulter nach Osten - »wie in Armagh. Middletown hat nie zu den trouble areas gezählt. Im großen ganzen haben sich bei uns Protestanten und Katholiken verstanden.«
    Wir stehen in Sichtweite der mächtigen Sperranlage, die außer Kraft gesetzt ist und seltsam überflüssig erscheint. Wird sie nun doch gegen ihren eigentlichen Sinn ständig in beiden Richtungen durchquert von unkontrollierten Fahrzeugen und Fußgängern - ein frappierender Anblick für jeden, der erlebt hat, wie rigoros hier ein Vierteljahrhundert lang die Ausweise eingefordert und nicht nur die Autos, sondern oft genug auch ihre Insassen auf das schroffste durchsucht worden sind.
    »Da hat sich viel verändert«, sagt der Maurer, »man will, man kann es immer noch nicht glauben. Jetzt hoffen alle, daß er hält, der Waffenstillstand, und daß das Allparteiengespräch in Gang kommt. Das ist das wichtigste.«
    Dabei gebraucht der Mann ganz selbstverständlich jene beiden termini technici, von denen die Presse derzeit voll ist: Decommissioning of Weapons und All Party Talks.
    Beim Abschied sagt er: »Die Posten sind zurückgezogen, aber noch da - für alle Fälle.«
     

Mein irisches Tagebuch IV
     
    20. April.
    Die Sonne brennt schon herab, es ist, ungewöhnlich für Irland, der fünfte Schönwettertag nacheinander.

Weitere Kostenlose Bücher