Mein irisches Tagebuch
mir mit seinem Jungengesicht, das es einem leicht macht, sich Paul L. aus Kilnaleck als Kind vorzustellen. Und so wird er weiter aussehen, egal, wie alt auch immer er werden wird.
Gestern, sagt er, ist er in Dublin gewesen und hat sich dort wieder im Straßendschungel verirrt, obwohl er die Metropole schon hundertmal in seinem Leben besucht hat. Nie könnte er in der Stadt wohnen - und Susan auch nicht, setzt er rasch hinzu.
Paul hat die Windjacke ausgezogen und sitzt da in seinem verschossenen Overall, neugierig auf den Fremden, auf Deutschland, auf Europa, auf den Kontinent, auf das Buch. Doch gelingt es mir meist, das Gespräch umzukehren und aus ihm etwas herauszuholen.
Ich habe es gern, wenn es draußen zu dämmern beginnt und nur noch Pauls hagere Gesichtszüge zu erkennen sind.
Aber dann, nachdem er und Penny abgefahren sind, ist es über dem See noch hell genug, um eine verblüffende Entdeckung zu machen: In der Mitte der Bucht, zwischen den weißschimmernden Eltern, ziehen vier graue Jungschwäne in Kiellinie dahin, das kösüiche Resultat der beobachteten Brutzeit!
Wie die Alten, tauchen auch sie die Köpfchen ins Wasser, paddeln erregt, wenn das Schwimmtempo schneller wird, und lösen dann und wann die lineare Formation auf, um sich, je zwei und zwei und immer auf körperlichen Kontakt bedacht, neben die Eltern zu drängen.
Ein Blick durchs Glas bringt das Quartett der dunklen Federknäuel noch näher heran, ihren Eifer, ihre Furcht, ihre Wachsamkeit, ehe sich alle sechs, ein unglaublicher Anblick, wie in Zeitlupe und auf der Bühne nach links meinen Blicken entziehen.
In kürzester Zeit bin ich hier heimisch geworden.
Wechselbäder - auf irisch
Über Granard und Longford an den Shannon.
Bei Roosky stoße ich auf Irlands längsten Strom, steige aus, trete auf eine alte Brücke. Sonne, Blüten auf dem Wasser, leichter Wind, ein herrliches Klima.
Breit fließt der Shannon dahin, in der Mitte große Inseln, tannenbestanden, Auen, weite Buchten, ein verschwenderisches Wassersystem. Motorboote, Yachten, weiße, bewegte Punkte, zahlreich - die Saison ist im Gang, aber hier nicht so störend wie befurchtet. An den Ufern und gelb über die ganze Landschaft gegossen, Ginster.
Schon vor Leitrim, immer dem Shannon nach, der Buckel der Iron Mountains, kahle Flächen, braun und grün, wie Klippen am Meer, und hoch darüber eine metallene Wespe, der seit langem beobachtete, den Verkehr überwachende Hubschrauber.
Halt in Drumshanbo, noch im unklaren, ob ich die westliche oder die östliche Route entlang dem vom Shannon durchströmten Lough Allen nehmen soll - da klopft es auch schon an die Wagenscheibe, und eine Lady mit zehnjährigem Enkel an der Hand fragt, ob sie mir helfen könne, den Weg zu finden. Nein, nicht die östliche Straße nehmen, sondern die R 207, die am Westufer, beschwört die Frau mich.
Beim Abschied kneift der Knirps an ihrer Seite ein Auge zu und macht, ganz wie die Alten, mit dem Kopf den »irischen Kick«. Als ich versuche, es nachzuahmen, lachen beide.
Noch weit vor Ballinagleragh, auf der mitderen Höhe des Sees, rückt die Straße nahe an den Shannon heran. Ich gehe durch ein Feld von gelben und roten Blumen, werde gebremst durch dichte Himbeersträucher und schaue auf die bewegte Fläche des Lough Allen. Drüben, am anderen Ufer, stille Hügel mit freundlichen Häusergesichtern, zu meiner Linken Weißdorn, zur Rechten, wie gefiedert, Farne, vor mir der See mit seiner immerwährenden Musik.
Da entdecke ich direkt vor meinen Füßen einen dicken schwarzen Käfer in großer Eile. Unbekannten Zielen zu, rennt er mal hierhin, mal dahin, offenbar in Schwierigkeiten, die Orientierung zu behalten, aber auch der Tücke des Sandbodens zu trotzen. Dauernd sind Gräben und Dämme im Weg, und die nächste Barriere aufwärts schafft er nicht. Immer wieder rutscht er ab, nimmt erneut tapfer Anlauf, rudert dabei heftig mit seinen drei Beinpaaren, von denen das mitdere das stärkste ist, gibt beileibe nicht auf, klimmt dann doch noch über die Schwelle und hat nun freie Bahn. Weit und breit der einzige seiner Art, entschwindet der schwarzgepanzerte Kämpfer sichtlich erleichtert unter einem Ginsterbusch.
Dann zurück nach Carrick-on-Shannon - und aus ist es mit der Ruhe.
Große, mitdere und kleine Flußkreuzer überall auf dem Wasser, zwar nicht, wie behauptet, im Yachthafen so dicht gelegen, daß man auf ihren Dächern den Shannon trockenen Fußes überqueren könnte, aber doch in
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