Mein irisches Tagebuch
Arbeit, wahrlich, und doch ein besorgniserregender Anblick: denn der »Mann für alles«, Paul L. aus Kilnaleck, County Cavan, sieht aus wie das Leiden Christi.
Denn Paul, dürr, knochendürr, wirkt so hinfällig, als könnte schon der Atem seines Nächsten ihn umblasen. Dünn wie eine Bohnenstange, erinnert er mich stets an die exemplarische Figur des »Otto Normalverbrauchers«, Prototyp der Hungerperiode unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges und in dem gleichnamigen Film legendär verkörpert durch den Schauspieler Gert Fröbe (der dann allerdings wenige Jahre später schon drei Zentner Lebendgewicht auf die Waage brachte, ein Superlativ, den Paul L. auch bei größter Anstrengung nie erreichen wird). Mit seinen 38Jahren ist die Kalorienfrage längst zugunsten einer natürlichen Hagerkeit entschieden, was allerdings nicht zu falschen Schlüssen über Pauls Energiehaushalt fuhren sollte. Der scheint eher unerschöpflich zu sein, wie der Katalog seiner Berufe, aus dem mit Gärtner, Automechaniker, Installateur, Fliesenleger, Malermeister und Kaminfachmann das Bukett seiner Fähigkeiten immer noch höchst unvollständig aufgezählt wäre.
In einem über und über verschossenen Overall steckend, auf dem Kopf auch an einem schönen Tag wie heute eine Art Zipfelmütze, werden ihm alle Tätigkeiten um das Wohl von Mallard Point bedingungslos anvertraut. Denn was immer die Hände von Paul L. aus Kilnaleck auch anfassen, es gelingt und gedeiht.
Einmal in der Woche, manchmal auch öfter, wird er begleitet von Susan, seiner Gefährtin, einer jungen Frau, deren nachhaltigster Eindruck dadurch entsteht, daß ihre sanfte Schönheit sich erst auf den zweiten Blick offenbart.
Susan ist für das Interieur von Mallard Point zuständig, sie saugt, wäscht, wischt Staub, lächelt auch allerliebst, wenn ihr zugeschaut wird, macht mich aber resolut aufmerksam auf Fehler, die ihr Mehrarbeit bescheren könnten. Zum Beispiel im
Badezimmer, wo ich, offenbar unbelehrbar, Handtücher, Apparate und Reinigungsmaterial nach Gebrauch an die falschen Plätze zu hängen oder zu legen pflege, völlig abgesehen von unsachgemäß gespültem Geschirr, das Susan aus ganzen Stapeln durchaus lupenrein behandelter Teller, Tassen und Bestecke unfehlbar herausfindet und mir mit strafendem Blick zärtlich unter die Nase hält. Dafür liebe ich sie!
Immer aber hat Paul, egal, wann er hier eintrifft, ob spät oder früh, einen Begleiter: Penny, »the sausage dog«, die »Hundewurst«. So habe ich jenen überernährten, mit dem kommunsten Schwarzweißfell seiner Gattung verunzierten und auf den kürzesten aller Hundebeine herumwatschelnden Mischling getauft, der das Glück hatte, Paul und Susan in die Hände zu fallen - nie hat es liebevollere Gebieter über ein Tier gegeben als sie (ausgenommen vielleicht den alten Chris da unten am Lough Sheelin).
Dennoch ist Penny jeder Aufenthalt im Haus strikt untersagt, wenngleich das Verbot weder von Yvar und Dagmar B. noch von mir kommt, sondern von Paul und Susan. Zwar gilt »sausage dog« zu Hause als stubenrein, aber wird er es auch bei anderen Leuten sein? Die beiden wollen es nicht drauf ankommen lassen.
Nur schert sich Penny nicht im mindesten darum, sondern dringt, wann immer er kann, durch jede Öffnung ins Innere, wirft sich dort, alle viere nach oben, auf den Rücken, um sich unersätdich kraulen zu lassen. Daß ihm dieser Wunsch, mit mir als Masseur, reichlich erfüllt wird, hängt nach der ersten erfolgreichen Symbiose zwischen uns mit Pennys Schlauheit zusammen. Denn einmal im Haus, flitzt er sofort in den Raum, wo die Tür am unverdächtigsten geschlossen werden kann, also in mein Arbeitszimmer, und läßt sich dort auf die beschriebene Weise hechelnd nieder, ohne lange betteln zu müssen. Danach wird ebenso gemeinsam versucht, Penny unentdeckt wieder nach draußen entwischen zu lassen.
Als Paul gerade dabei ist, die Hecke am Rand des Grundstücks oben zu begradigen, bricht auch schon ein Regen wie aus Schleusen los. Es klatscht so heftig gegen das große Fenster zum Garten, rauscht so dicht herunter, daß der Lough Sheelin für mich unsichtbar wird. Paul draußen an der Hecke scheint das nicht zu stören, lediglich, daß er eine Windjacke übergezogen hat, die ihn kaum schützt, während er das geschnittene, triefnasse Blatt- und Astwerk in einen weißen Eimer schaufelt.
Später kommt er ins Haus und füllt den Kamin mit Holzscheiten. Dann sitzt er in einem der großen Ledersessel vor
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