Mein irisches Tagebuch
Jahren war oft die Rede gewesen von dieser unglaublichen überseeischen Pointe - Aran Islands - New York, steinverbunden. Aber mir vorstellen, es wirklich begreifen, das kann ich erst jetzt, hier auf der Insel selbst, umzingelt von dem Steinuniversum, das dem Boden der Arans doch noch Fruchtbarkeit brachte.
Welch eine Geschichte.
Da tut es gut, als Gegengewicht Prosaisches aus dem Mund meines guide zu erfahren, eines einheimischen Cicerone, dessen Minibus ich mich seit einer halben Stunde anvertraut habe und der nun ein paar Zahlen und Fakten nennt: daß heute kaum mehr als tausend Menschen auf Inishmore leben, deren Existenzgrundlage Fischfang, Landwirtschaft, Schafzucht und Tourismus sind; daß früher acht bis zehn Kinder der normale Familiendurchschnitt waren; daß es elektrisches Licht erst seit 1970 gibt (und die Lampen vorher mit Fischöl gespeist wurden); daß von den 700 cottages auf der Insel nur 25 übriggeblieben sind, und daß es auf den Arans kühler als auf dem Festland ist. Zum Abschluß des kleinen Kollegs erfahre ich noch, daß die letzten Engländer die Insel vor siebzig Jahren verlassen haben.
Dann sehe ich das Steinfort Dun Aenghus, Irlands berühmteste Festungsanlage überhaupt, und mache mich wieder selbständig.
Bis da oben hin ist es nicht weit. Die Insel, ohnehin nur achtzehn Kilometer lang und nirgends breiter als drei, hat hier ihre schmälste Stelle.
Auf einem ausgetretenen Pfad mit Mulden, Löchern und spitzen Steinen an den Seiten geht es bergauf näher und näher heran an den äußeren der drei Verteidigungswälle, die das Halbrund des inneren Festungsrings schützten.
Dun Aenghus ist eine Zitadelle mit zyklopischem Fundament, ein sechs Meter hohes und am Fuß ebenso dickes Trockenmauerwerk, das abgetreppt ist und Kammern und Gänge in sich birgt.
Eine von Tausenden ragender Steinpflöcke umgebene frühgeschichtliche Festung, ist es dräuender, größer, schwerer als andere Ringwälle, denen ich in Irland begegnet bin, aber doch eben auch errichtet nach dem System ähnlicher Fortifikationen aus den letzten vor- und ersten nachchristlichen Jahrhunderten.
Was Dun Aenghus absolut einmalig, es so völlig unvergleichlich macht, ist seine Lage: neunzig Meter über der ununterbrochen anrollenden Brandung an das steil abfallende Kliff gesetzt, in schwindelnder Höhe einem riesigen Vogelnest aus Steinen gleich, windzerzaust und mit einem atemberaubenden Blick auf das ewig unruhige Meer.
So liegt es vor mir, der hart an den Abgrund getreten ist und von einer kleinen Ausbuckelung seitlich auf das zerrissene Gestein, die tief zerklüfteten Schründe, Löcher und Schluchten der vertikal abstürzenden Klippen hinuntersehen kann.
Zur Seeseite hin ist die Zitadelle unbefestigt, doch vermuten Historiker, daß auch dort eine Trockenmauer gezogen war. Die ersten Bauherren der Festung sollen Angehörige des vorkeltischen Volks der Firbolgs gewesen sein, die Dun Aenghus nach einem ihrer Anführer benannt hätten. Aber all das liegt im Dunkel einer Vorzeit, von der nur verwehte Sagen künden.
Bis heute offengeblieben sind auch andere Fragen, die sich hier jedem Betrachter ganz von selbst stellen: Gegen wen eigentlich war diese gewaltige wehrtechnische Anlage gerichtet? Wie groß war die Zahl ihrer Verteidiger auf der stets spärlich besiedelten Insel, und wurde der Feind von hier oder vom Festland erwartet? Vor allem aber: Woher sollten auf die abgelegene Insel so viele Angreifer kommen, wie nötig gewesen wären, um Dun Aenghus erfolgreich zu bestürmen und zu erobern?
Ob darauf jemals Antworten gefunden werden oder nicht -großartig genug ist die gigantische Steinfestung und völlig gerechtfertigt der Stolz einer hier angebrachten Inschrift: »Dun Aenghus is one of the finest monuments of its kind in Europe«.
O ja, die alte Keltenburg ist in der Tat eines der imposantesten Denkmale ihrer Gattung, aber ebenso unbestritten auch - das allergefährlichste!
Denn hier, wo schon ein einziger falscher Schritt den tödlichen Sturz in den Abgrund bedeuten kann, sind keinerlei Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden. Mit Schaudern registriere ich, daß Kinder unbeaufsichtigt am Klippenrand entlanglaufen und Halbwüchsige ihre Beine herabbaumeln lassen. Wobei es kein Trost ist, daß offenbar noch nichts passiert ist - bereits das erste Unglück aber wäre eines zuviel.
Also zum Abschied mit berechtigter Sorge ein Blick in Richtung Abgrund und ein letzter auf die Ringwälle und ihre ausgeklügelte
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