Mein irisches Tagebuch
feststelle, daß sich die Gaststätten weder um die zahlungskräftige Klientel kriecherisch reißen, noch sich irgend jemand darum kümmert, zeitgemäßes Besteck zu beschaffen. Das Restaurant in Kilronan jedenfalls, in das ich nun einkehre, hat so krumme Zangen, daß meine bei dem Versuch, das große Schalentier auf dem Teller fachgerecht zu knacken, in hohem Bogen auf den Boden fliegt, ohne daß Anstalten getroffen werden, das Werkzeug auszuwechseln. Überall woanders hätte ich daran Anstoß genommen, in Verbindung mit den obigen Assoziationen aber registriere ich die Distanz zum Gast eher mit Befriedigung. Daß es mir schließlich dennoch gelingt, an den ersehnten Inhalt der Scheren zu gelangen, verdanke ich eher dem Zufall als meiner Geschicklichkeit im Umgang mit Brechwerkzeugen.
Die verbleibende Zeit bis zur Abfahrt nutze ich, um auf die andere, die seeabgewandte Seite von Inishmore zu radeln, dorthin, wo vor langer Zeit ein französisches Segelschiff strandete, was dem Küstenabschnitt den Namen »The Frenchman’s beach« einbrachte.
Dort angekommen, fällt mir ein, daß sich viel später ganz in der Nähe ein anderes Drama zugetragen hat, eine Geschichte, die, so makaber sie sich auch anhören mag, doch verbürgt sein soll.
Ihr zufolge wanderte vor dem Ersten Weltkrieg ein Mann in jungen Jahren von Inishmore nach Amerika aus, wo er heiratete und zum Millionär wurde. Schon zu Lebzeiten war er beseelt von dem (später auch testamentarisch niedergelegten) Gedanken, auf Inishmore begraben zu werden. Nach seinem Tod Mitte der sechziger Jahre trifft die Witwe alle Vorkehrungen, dem Begehren nachzukommen. Also wird der Leichnam von New York nach Shannon Airport geflogen, von wo der ebenso teure wie gewichtige Sarg weiter auf die Hauptinsel der Arans befördert werden soll.
Aber während das heutige Inishmore über den bedenklichen Fortschritt einer Piste für kleinere Maschinen verfügt, gab es diese Möglichkeit damals noch nicht.
Also verfällt die Bestattungsfirma am Vortag der Trauerfeier auf die naheliegende Idee, den Transport auf die Insel per Hubschrauber vornehmen zu lassen, was schnell gehen muß, da die Witwe ihr Kommen angesagt hat.
Die Trauerfeier soll, wie es hier Sitte ist, bei offenem Sarg zelebriert werden. Und so steigt denn der Drehflügler, unter sich an einer langen Trosse das gute Stück aus Eiche samt Leichnam, rechtzeitig in Shannon Airport auf, zieht kräftig seine Bahn nach Nordwesten und steht bald mit peitschenden Rotoren hoch über der Stelle, wo der heftig schaukelnde Sarg vorsichtig abgeseilt werden soll. Das angesichts Hunderter von Insulanern, die sich das Schauspiel nicht entgehen lassen wollen, halsverrenkend nach oben starrend, mit angehaltenem Atem und in sicherer Entfernung. Dies erweist sich als gerechtfertigte böse Vorahnung, denn zwei Sekunden nach Einleitung des Endmanövers löst sich der schwere Holzbehälter aus der schwankenden Halterung, stürzt mit wachsender Geschwindigkeit erdwärts und zerschellt so gewaltsam am Boden, daß die Leiche herausgewirbelt, in mehrere Teile zerfetzt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird.
Die ahnungslose Witwe trifft planmäßig ein, und die Trauerfeier geht wie vorgesehen vonstatten - der Sitte gemäß bei geöffnetem, wenngleich bis zum Kopf des Toten blumenübersätem Sarg. Der wird, dem lebenslang geäußerten Wunsch des Verblichenen entsprechend, in die Erde seiner Heimat Inishmore gesenkt, woraufhin die Witwe die Insel wieder verläßt. Dies, wie ausdrücklich verlautet, in dem befriedigenden Gefühl, den letzten Willen ihres geliebten Mannes buchstabengetreu erfüllt zu haben.
Obwohl auf der Insel alle die Wahrheit kannten, hat die Hinterbliebene weder erfahren, daß sie vor der falschen Leiche trauerte, noch ist über den Kreis der Eingeweihten je herausgekommen, wer der andere Tote war. Ebenso blieb es tiefstes Geheimnis der Insulaner, welcher Künstler über Nacht den neuen Sarg so angefertigt hatte, daß er von dem zertrümmerten Original nicht zu unterscheiden war.
Mir ist die Story schon einige Male zu Ohren gekommen und in den entscheidenden Punkten so übereinstimmend, daß ich mir den Glauben an ein historisches, wenngleich äußerst irisches Geschehen gar zu gern erhalten würde.
Auf der Rückfahrt von den Aran Islands dann keine mitteilenswerten Begebenheiten mehr. Nur ist die Flut im Hafen von Rossaveel so gestiegen, daß im Gegensatz zu heute morgen kein Fallreep nötig wird und die Passagiere
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