Mein irisches Tagebuch
Wechselbädern der willige Freund Irlands doch immer wieder ausgesetzt wird.
(Ein Postskriptum mit Lichtblick bei der Niederschrift des Buches: Die Gelähmte wurde in ein privates Krankenhaus verlegt, wo der Eingriff vorgenommen und die Frau von ihren Leiden erlöst werden konnte - ohne daß, wie es der Irish Medical Council angedroht hatte, »Maßnahmen ergriffen wurden«.)
Aran Islands oder Wo kam die zweite Leiche her?
Auf der Küstenstraße von Galway nach Westen, in Richtung Connemara.
Ich will mir einen Wunsch erfüllen, den ich schon hatte, als ich Irland vor 25Jahren zum erstenmal betrat, ohne ihm damals und später nachkommen zu können: Ich will auf die Aran Islands.
Aber schon kurz hinter Galway schwant mir nichts Gutes -die Hauptinsel Inishmore und die beiden kleineren Eilande Inishmaan und Inisheer sind von Land her kaum zu erkennen.
Es regnet und stürmt heute vormittag wie im Winter, und der schwankende Seelenverkäufer im Hafen von Rossaveel sieht auch nicht gerade vertrauenerweckend aus. Schon hier, in der abgeschotteten Bucht, schaukelt das Schifflein wie ein Korken auf stürmischer See - entsprechend wird der Kahn also draußen tanzen, wenn das Meer ihn packt. Seltsamerweise finde ich mich kurz danach, breitbeinig nach Halt suchend, dennoch an Deck wieder, ohne daß daraus jedoch ein längerer Aufenthalt wird. Denn eingedenk meiner ersten Seekrankheit auf einem alten Fährschiff mit dem Tiefgang einer Untertasse zwischen Cuxhaven und Helgoland, bei der mir die eigene Galle nur so um die Ohren flog, fliehe ich nun trotz bereits bezahlten Tickets vom schaukelnden Kahn über die wacklige Gangway doch lieber an Land, um dort auf besseres Wetter und glattes Meer am kommenden Tag zu hoffen.
Und wirklich, beides könnte heute morgen nicht strahlender und friedlicher sein, sogar die Twelve Pins der Connemara-Berge liegen, seltene Fernsicht, wie auf dem Präsentierteller in der Sonne da, während der leichtuniformierte alte Fahrensmann und Kartenkontrolleur an Bord, gestriger Zeuge meines unseemännischen Abgangs, mir beim Ablegen mit einem vertrauensbildenden Klaps auf die Schulter zuraunt: »A perfect day!«
Einmal aus der Cashla Bay hinaus, schaukelt es dann doch ziemlich stark (wie muß das erst gestern zugegangen sein), was aber in keiner Weise die maritime Schönheit schmälert, die sich da vor einem ausbreitet. Vorne, wie überdimensionale Schildkröten, die drei Aran-Inseln, hinter mir, eine gestochen klare Momentaufnahme, die zwölf Gipfel von Connemara, und das stampfende Boot, an dessen Mast ich mich mit dem Rücken anlehne, von der lang anrollenden Dünung des Atiantik schwebend getragen.
Nach einer Dreiviertelstunde dann, den kleinen Leuchtturm zur Linken, Einfahrt in den Hafen von Kilronan auf Inishmore.
Ich mache mich auf den Weg ins Innere, vom ersten Schritt an beeindruckt von dem Element, das hier die absolute Herrschaft auszuüben scheint - nicht die See, das Wasser, der Wind, sondern Steine, Steine, Steine. Die ganze Welt scheint aus ihnen zu bestehen, so allgegenwärtig sind sie, überall, massenhaft, viel zu viele. Aber ohne Steine hätte menschliches Leben auf den Arans niemals Fuß fassen können, und erst langsam begreift man den Zweck ihrer Auftürmung, der Wälle, der mörtellosen Wehr. Die Arans hatten keinen Humus, nur Sand und nährlosen Grund, und den haben die Bewohner mit Tang, Stroh und Dung gemischt, Kleinfläche an Kleinfläche, Parzelle an Parzelle, jede mit Steinen umgeben, weil sonst der Wind die Krume erbarmungslos weggeblasen hätte.
So, in einem tausendjährigen Kultivierungsprozeß von Menschenhand einen Stein auf den anderen häufend, Milliarden im Lauf der Zeit, so sind die steinumwallten Grundflächen der Aran Islands entstanden, trotzten dahinter Kartoffeln, Rüben, Kohl und anderes Gemüse dem ozeanischen Blasebalg und seinem ständigen Westwind, wird ein Monument menschlicher Energie sichtbar, das es in seiner materiellen Dimension durchaus mit der Chinesischen Mauer aufnehmen kann. Denn würde man all die Steinwälle in gerader Linie aufreihen, wie sie Zelle für Zelle, Grundstück für Grundstück umzäunen, würde man eine Umwallung an die andere setzen, bis keine mehr übrig wäre, so reichte das für eine Mauer von den Aran Islands über den ganzen Atlantik bis hin zum mehr als 4 000 Kilometer entfernten New York!
Ich hatte davon schon gehört, bevor ich überhaupt irischen Boden betreten hatte, und auch in den seither vergangenen 25
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