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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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von Deck direkt an Land treten können.
     

Oder etwas anderes Grauenhaftes geschieht, etwa eine Feuersbrunst
     
    Jäher Stop auf der N 17 bei Ropefield, dreißig Kilometer vor Sligo.
    Auf der rechten Straßenseite ein Dutzend verkommener Wohnwagen, in langer Reihe auseinandergezogen; zwischen Müllbergen Hunde, die sich von den Abfallhaufen nur dadurch unterscheiden, daß sie sich bewegen. Holzgestelle, Drähte, Metallstücke, Plastiksäcke, Pappe. An Leinen flatternde Wäsche, Handtücher, Hemden, Hosen; eine Blechtonne, aus der es giftig hervordunstet; Männer, die sich an Metallteilen zu schaffen machen, Frauen, die Scheiben putzen, Kinder, mit verrostetem Spielzeug hantierend - travellers.
    »Reisende«, so werden behördlicherseits wie allgemein in einer auch hier zur Verbrämung neigenden Gegenwart die Angehörigen jener Gruppe genannt, die vorher weniger rücksichtsvoll itinerants hießen, »wanderndes Volk«, und noch früher unverblümt tinkers geschimpft wurden, Kesselflicker.
    Am Problem selbst, 4000 bis 5000 teils nomadisierenden, teils seßhaft gewordenen Familien mit insgesamt rund 25000 Angehörigen, ändern wechselnde Titulierungen nichts - die travellers sind Irlands große Sozialwunde geblieben.
    Aus der Tiefe der Inselgeschichte kommend, ein uraltes Geschlecht, aber keine Zigeuner (hier irrt Bölls »Irisches Tagebuch«!), leben sie traditionell vom Handel mit Pferden und Altmetall, wechselten sie vor noch gar nicht langer Zeit vom Pferdewagen über auf die Pferdestärken motorisierter Karossen, und sind sie nach allen statistischen Erhebungen von weit unterdurchschnitdicher Gesundheit und Schulbildung. Nach regierungsamtlicher Feststellung existiert bisher kein einziger Student aus ihren Reihen.
    Es gibt seßhaft gewordene travellers, aber die Mehrheit zieht immer noch unstet von einem Aufenthaltsplatz (site) zum andern, sei er legal oder illegal.
    Ich nähere mich einem der traurigsten Kapitel im Buch der irischen Sozialhistorie. Daß sich nun auch die Medien seiner
    angenommen haben und fortwährend darüber berichten, hat den deprimierenden Status quo bisher kaum korrigiert.
    In den meisten irischen Gaststätten werden travellers nicht bedient. Wirtshäuser, die dagegen verstoßen, werden als »Kesselflicker-Pubs« etikettiert und von der Einwohnerschaft gemieden. Nach dem »Irish Independent« waltet so etwas wie die berüchtigte Indian list, ein ungeschriebenes Papier, das in einigen Teilen der USA immer noch wirkt und Indianern grundsätzlich die Welt der Weißen verbietet. Hier, wo sich Einheimische und travellers von der Hautfarbe her nicht unterscheiden, arbeitet so etwas wie ein Kasteninstinkt mit der seherischen Gabe, die underdogs untrüglich an Merkmalen zu erkennen, die unsereinem verschlossen bleiben. Auch dann, wenn travellers einzeln auftre-ten, werden sie von Einheimischen sofort erkannt, in Pubs gewöhnlich mit der Konsequenz, daß ihnen jeglicher Drink verweigert wird.
    Von Ausnahmen abgesehen.
    So erregte vor kurzem ein Fall in der Nähe von Galway Aufsehen, als eine Wirtin namens Mary Reilly, die auch sonst »Reisende« bediente, in ihrem Pub eine traveller- Hochzeit feiern ließ. Das genügte, um ein Gericht zu veranlassen, ihr die Verlängerung der Schanklizenz zu verweigern.
    Ein anderer Fall, der böses Blut machte, war der des Joe J. und seiner neunköpfigen Familie aus Moate, County Westmeath, östlich von Athlone.
    Dabei ging es um eine sogenannte relocation - die Familie, die schon einmal in der Nähe von Moate gewohnt, dann aber nach ungutem Abschied von der Nachbarschaft ihr Nomadendasein wiederaufgenommen hatte, sollte seßhaft gemacht werden. Zu diesem Zweck war ihr ein Bungalow mit vier Zimmern zur Verfügung gestellt worden, nachdem Joe J. zugesagt hatte, daß er weder mit Wohnwagen noch Pferden erscheinen und sich auch mit den Nachbarn nicht wieder anlegen würde.
    Als dann die Kosten für das vom County Council Moate, der Gemeindeverwaltung, gekaufte Haus öffentlich bekannt wurden - 46 000 Pfund, also weit über 100 000 Mark -, war der Aufruhr da. Zahlreiche Moater Einwohner sperrten aus Protest mit einem Sitzstreik über mehrere Tage die Dublin-Galway-Road, so daß der Verkehr umgeleitet werden mußte - für die Medien ein gefundenes Fressen. Immerhin kam dabei heraus, daß die angegebenen Motive der Empörung bei etlichen nur vorgeschoben waren. Von den Kameras bedrängt, sich zu äußern, was sie an der Sache denn so ärgere, antworteten die

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