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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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so extrem gibt er seiner Forderung Ausdruck, auf der Stelle noch nachdrücklicher gekrault zu werden.
     
    Als ich wieder allein bin, trete ich nach hinten aus der Tür, und siehe, auf dem Feld, kurz hinter der Grundstücksgrenze, hockt wieder Meister Lampe, fährt, als er mich erblickt, seine langen Löffel noch steiler aus, und stiebt nach Hasenart hoppelnd davon.
    Vorn liegt der See golden und unberührt da in der Abendsonne, in der Bucht vor Mallard Point aber gleitet, unglaublicher Anblick, die Schwanenfamilie wie schwebend dahin.
    Die Jungen, immer noch grau, haben jetzt etwa ein Viertel ihrer erwachsenen Größe erreicht, halten sich jedoch meist weiter ängstlich an die Eltern. Schwimmt dann eines von ihnen einmal kühn davon, erschreckt es augenscheinlich sogleich wieder vor der eigenen Courage und paddelt rasch zurück in die schützende Nähe von Vater und Mutter, die weißschimmernd und souverän die Aufsicht führen.
    Dann, als fast schon nichts mehr zu sehen ist, die Sonne verschwunden und der Himmel bleiern, formiert sich die Schwanenfamilie zu ihrer großen Nachtvorstellung: vorn und am Ende die schlanken Hälse der Großen, dazwischen die vier Jungschwäne, so zieht sie in Kiellinie dahin - ein bewegtes Gemälde aus Farbe, Licht, Dunkel und Traum.
    Darf ich da, mit William Butler Yeats Erlaubnis, nicht sagen: »Everything is so beautiful here«?
     

Wenn die Straße nicht so eng gewesen wäre
     
    Auf der Fahrt an den Lough Ree, einen der größeren Seen Irlands, vom Shannon durchflossen und in der Mitte unsichtbar geteilt durch die Grenze der Counties Westmeath und Longford.
    Über Granard in die midlands, irischstes Binnenland, das sich denken läßt, mit weiblichen Wölbungen und pastoralen Panoramen von fast utopischer Friedlichkeit.
    Aber dann, noch weit vor Lanesborough, ein Bild, das um so abschreckender wirkt, je näher es rückt. Aus einer vierschrötigen Industrieanlage stemmt sich ein endlos langer Schornstein hoch, dem wie unter Druck wahre Qualmströme entquellen, dicht und schwarz. Das muß ein Kraftwerk sein, dessen Häßlichkeit durch seine Höhe von überall her zu sehen ist, aus welchen vier Himmelsrichtungen man auch immer hier an den nördlichsten Punkt des Lough Ree kommen mag.
    Also noch vor Lanesborough südwärts zum Lough Ree, in freier Landschaft und frischer Luft, auf einsamen Pfaden und dem Ostufer stets so nahe wie möglich.
    Grünstrotzende Vegetation, eine mächtige Burgruine, die leeren Fensterhöhlen wie tote Augen, die Mauern von Pflanzen beklettert. Vereinzelt Farmhäuser, rosenbestanden, Weiden bis zum Wasser hin, grasendes Vieh, Rinder und Schafe, der Himmel heute tief. Ich bin auf einem Nebenweg von Nebenwegen, aber auch der ist noch gepflastert - Irland, deine Straßen! Allerdings, diese hier ist so schmal, daß sich begegnende Autos nicht ausweichen könnten. Kaum gedacht, sehe ich in einiger Entfernung vor mir eines, das aber zum Glück in meiner Richtung fährt.
    Zu beiden Seiten jetzt größere Gehöfte, offene Scheunentore, rechts Durchblick auf bewaldete Inseln und überall mächtige Bäume, die mir auffallen in ihrer Knorrigkeit, deren Namen ich aber nicht kenne.
    Dann plötzlich Stopp - ein Gatter versperrt den Weg. Also zurück. Doch bald kann ich nicht weiter - da steht ein Auto, das eben, auf der Herfahrt, noch nicht an der Stelle war, sondern aus dem Tor gekommen sein muß, und an dem sich jetzt ein alter Mann zu schaffen macht.
    Ich kann nicht vorbei, die Straße ist, wie befürchtet, für zwei Wagen zu eng.
    Aber da streckt der Alte auch schon beschwichtigend einen Arm nach mir aus, hebt das schwere Holztor hoch, läßt es einklinken, geht auf mich zu, öffnet den Wagenschlag, steigt ein und reicht mir die Hand.
    So lerne ich James Skelly kennen.
    Im Hemd, mit Hosenträgern, eine grüne Mütze auf dem Kopf, sitzt er im alten Ford neben mir und schaut mich aus wachen Augen wohlwollend und neugierig an.
    Eine Viertelstunde später bin ich in Kenntnis seiner biographischen Eckdaten, ohne dazu mehr beigetragen zu haben, als ihm aufmerksam zuzuhören.
    James Skelly, 1914 geboren, ist 81 Jahre alt, Vater von drei Söhnen und zwei Töchtern, die ihn bis heute zum achtfachen Großvater gemacht haben (eine Tochter, setzt er nach, ist gestorben -wobei es mir so scheint, als stocke er bei dem letzten Wort).
    Sein Vater wurde früh begraben, er, das älteste von sechs Kindern, mußte mit der Mutter für die Familie sorgen. Als er vierzehn war, verließ er die

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