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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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ohnehin vergessen.
    Bei der Rückfahrt kommt Wind auf, die Wellen klatschen gegen das Boot, doch kühler wird es nicht. Wir haben keinen einzigen Fisch gefangen, waren aber drei Stunden in einer Luft, wie es sie vielleicht nur noch in Irland gibt.
     
    An der Betonpier, ufernah, auf der Kreuzung nach Mount Nugent, begrüßt mich das wohlvertraute »Come on dear!«, mit dem der alte Chris seinen Hund Barney lockt. Die x-beinige Mischung zwischen Bulldogge und Windhund tollt heute besonders heftig herum, schwankt einen Augenblick, ob sie mich ankläffen oder alle Energie auf ihren Gebieter konzentrieren soll, folgt ihm dann aber auf dem Fuße.
    Wenn eine Steigerung denn überhaupt noch möglich war seit dem ersten Anblick - dem alten Chris ist sie gelungen. Ungeachtet der gestiegenen Temperaturen (in Irland ist es Sommer), trägt er auch heute den auberginefarbenen Mantel mit den klaffenden Schnitten, aus denen das einstmals wertvolle Futter noch weiter hervorgequollen ist. Das rote Haar unter der grauen Mütze scheint mir ebenfalls ein Stück gewachsen und die Kommunikation zwischen Herr und Hund noch vollkommener zu sein, während beide in fortwährendem Dialog ihre Route von der Kreuzung hinunter zum See und auf die Betonpier streng einhalten.
    Da ich von diesem gewohnt gewordenen Anblick nicht so rasch lassen will, studiere ich bis zur Rückkehr des seltsamen Paares die große Tafel mit der Aufschrift »Shannon Regional Fisheries Sport Lough Sheelin« - vielfältige Anweisungen, Gebote und Verbote für die Sportfischer auf diesem wie auch jedem anderen See.
    Daraus geht hervor, daß eine Angelerlaubnis erforderlich ist; in der Saison vom 1. März bis zum 12. Oktober nur Forellen bis zu 11,83 inches (etwa 30 Zentimeter) gefangen werden dürfen (nicht mehr als sechs pro Tag); zwischen dem 1. März und dem 30. April nur die künstliche Fliege auszuwerfen ist (»artificial fly only«); Fischen mit Grundnetzen zwischen dem 1. Mai und dem 15. Juni gestattet ist, aber nur von Ruderbooten aus (»trawling permitted under oars only«), wohingegen vom 16. Juni bis zum 12. Oktober alle Fangmethoden erlaubt sind.
    Nachsatz: »Coarse fishing not permitted on lake« - was ich übersetze mit: »Unpetrihaft darf nicht gefischt werden.«
    Derweilen sind Chris und Barney vom See zurückgekehrt, wobei der Alte mich mit völlig unbewegtem Gesicht zum zweitenmal freundlich grüßt, eine Weile neben mir vor der Tafel stehenbleibt und sehr nachdrücklich mit dem Kopf nickt, gleichsam in Anerkennung der Leistung, die ich mit der intensiven Lektüre der Anglerbestimmungen vollbracht habe. Dann schreitet er stracks neben dem außer Rand und Band geratenen Barney - »Come on dear!« - auf das baufällige Holzhaus mit der großen Satellitenschüssel zu und verschwindet darin.
     
    In Mallard Point ist Susan schon am Werk - bevor ich eintrete, höre ich den Staubsauger röhren. Rasch rekapituliere ich, ob ich Grund hinterlassen haben könnte, mir ihren Unmut zuzuziehen, sei es dadurch, daß ich Töpfe oder Geschirr falsch eingeordnet, den Kühlschrank offengelassen oder den Müllsack nicht an die vorgesehene Stelle in der Garage plaziert habe. Doch die Sorge scheint unbegründet, denn Susan begrüßt mich mit jener respektvollen Huld, die ihr niemand nachmacht, und einem Lächeln um Mund und Augen, von dem sie weiß, daß ich es hinreißend finde.
    Paul ist hinterm Haus am Zaun beschäftigt, wo seit Tagen eine große Rinderherde weidet, die einige Pfähle an der Grundstücksgrenze gelockert hat.
    Später begießt er die Rabatten, mäht den Rasen, schneidet an der Hecke herum, stapelt Holz, klopft an Rohre und zieht Schrauben fest.
    Knochendürr, dünner als eine Bohnenstange und wie immer in seinem blauverschossenen Overall, macht Paul L. aus Kilnaleck seinem Ruf als guter Geist von Mallard Point alle Ehre. Auch an diesem Hundstag trägt er seine Zipfelmütze auf dem
    Kopf, während die Hitze Penny heute offenbar so schlapp gemacht hat, daß er keine Anstrengungen unternimmt, ins Haus zu gelangen - die rundliche Promenadenmischung liegt mit heraushängender Zunge im Schatten der hinteren Hauswand.
    Aber ungeachtet der Außentemperaturen wird später doch der Kamin angezündet, und so sitzen wir denn alle vier, die »Hundewurst« auf meinem Schoß, davor und schauen in die Flammen.
    An diesem letzten Abend erfahre ich, daß Paul sich vor einem Jahr einer schweren Lungenoperation unterziehen mußte. Eine verschleppte Krankheit der Luft- und

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