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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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den Preis erheblicher Verschuldung.
    Dann stehe ich am Ufer des River Owenwee, vor mir die Nordflanke des Slieve League, von Ost nach West bis 600 Meter aufsteigend, wolkenfrei heute, ein ungeheurer Felsklumpen, oben schartig wie der Kamm eines Drachen.
    Nach Glencolumbkille zu nimmt die Gegend alpinen Charakter an, keine Bäume mehr, nur Sträucher, Gras, Heide, Moor. Hinterm Ort wieder der Blick auf die See und auf die Kirche hoch droben - St. Columbkille, die Krone von Glen Head.
    Unweigerlich ficht einen der Gedanke an: Hier bist du am Ende der Welt, hier geht es nicht weiter - so jedenfalls fühlt es sich an, zumal sich die spärlichen Hinweisschilder ausschließlich der gälischen Sprache bedienen. Aber Irrtum, die Straße streckt und streckt sich, wird zu einem Paß, klettert hoch und höher -noch ein Stück, und du kannst von Donegal bis Boston blicken.
    Weiter südlich weist die Karte sogar noch zwei Ortschaften aus, und wirklich, Malin More und Malin Beg sind keine Phantome, sondern entpuppen sich als Ansammlungen anmutiger Häuser, deren blendendes Weiß einem unter dem heute geradezu griechisch-blauen Himmel fast eine Ägäis-Idylle vorgaukeln könnte.
    Aber Rathlin O’Birne da vom, eine Insel mit obligatorischem Leuchtturm, ist wieder ganz atlantisch, das Wahrzeichen einer nördlichen Sphäre im Schatten gewaltiger Felsabstürze. Dahin will ich noch, auf die Seeseite des Slieve League, mit dem Boot, das mir in Teelin zugesagt worden war.
    Und das knattert und schaukelt dann mit mir um Carrigan Head herum, am Steuer ein stummer, aber nautisch höchst versierter Fischer, bis vor die atemverschlagende Fassade des Tra-bane Cliff. Die oberste Spitze eben in den Wolken, die Klippen darunter steil ins Meer hinab, durchfurcht von Rinnen, Schründen, Kerbungen, mit Schotterwunden, flechtenbewachsen und unten, fünfzig, sechzig Meter über dem Gischtrand der Brandung, senkrecht abstürzend - so erhebt sich vor mir eine Wand von zermalmender Wucht. Sie ist derart erdrückend, daß ich den Eindruck gewinne, die starre Masse bewege sich bösartig, Zentimeter um Zentimeter, auf mich zu. Als ich mich umschaue, gegen das Heck, wo der Fischer hockt, sehe ich, daß er grinst -wohl in der hundertfachen ewig gleichen Erfahrung, daß beim Anblick des Tabane Cliffs nichts bleibt, als in Beklemmung und Staunen ebenso schaudernd wie bewundernd zu schweigen.
    Dann lasse ich mich zurückfahren und fasse unterwegs den Beschluß, Slieve League zu besteigen, und zwar von der Landseite, von Bunglass aus. Dort geht es eine äußerst schmale Straße hinauf bis zu einem Parkplatz und weiter über einen noch schmaleren Pfad auf die Klippen zu. Dann an ihnen entlang höher und höher.
    Warnschilder.
    Ich weiß, daß ich nicht zünftig genug angezogen bin für solche Bergtour, spiele aber auch nicht va banque - das Wetter ist gut, und zwar, allen Anzeichen nach, dauerhaft. Dennoch bin ich im Zweifel, ob der Aufstieg bei ungünstigeren Witterungsbedingungen unterblieben wäre. Spüre ich ihn doch nur zu deutlich in mir, während ich emporstapfe - diesen seltsamen Magnetismus, den der Slieve in mir auslöst, die Verzauberung, die wächst und wächst mit dem immer grandioseren Blick auf die See, ein Naturschauspiel sondergleichen.
    Hier, auf diesen Klippen und ihrem One Man’s Path, gibt es wirklich niemanden außer einem selbst, hier ist man zurückgeworfen auf nichts als die eigene Person. Wenn du fällst, in die Brandung da unten, bleibst du verschollen und wirst niemals gefunden werden. Also Vorsicht beim Sitzen auf den Vorsprüngen und Naturbänken, und auch das nur, wenn schwindelfrei. Weit mehr noch als vor Glen Head, mehr auch als von den Cliffs of Moher aus, stellt sich hier oben auf dem Slieve League rauschhaft die Illusion ein, im Westen übers Wasser die nächste Küste, Amerika, heraufscheinen zu sehen - töricht, aber ununterdrückbar.
    Wahrlich, phantasiefördernd ist Donegal, von machtvoller Einsamkeit und uneroberbar.
     
    Von Muff über Quighley’s Point nach Malin Head, dem nördlichsten Festlandspunkt.
    Hinter Carndonagh weitet sich die Trawbreaga Bay, ein Sund, kaum Wasser jetzt, Ebbe, wie trockengefallen das Becken. Aber bei Nordweststurm und gleichzeitiger Flut sollen die Wellen sechs Meter höher aufs Land schlagen.
    Ich rieche die See, lange bevor ich sie sehe, auch hier, kenne die Zeichen, mit denen die Landschaft ihre Nähe ankündigt.
    Dünen, Felsen, Schafe, Jodschwaden. Heidekraut zwischen den Steinen. Auf der

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