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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Atemwege hatte ihn in die Nähe des Erstickungstodes gebracht. Erholt hat er sich davon immer noch nicht, und es bleibt zweifelhaft, ob das überhaupt möglich sein wird.
    Im Lauf der Stunden versinkt seine dürre Gestalt immer tiefer in dem übermächtigen Sessel, verschwimmt sein hagerer Kopf immer mehr, während sich Susans schönes Gesicht, dem Licht näher, wie ein lebendes Gemälde gegen den dunklen Hintergrund abhebt.
    Penny ist auf meinem Schoß eingeschlafen und der Holzstoß im Kamin niedergebrannt.
    Aber wir bleiben noch beieinander, als fürchteten wir uns vor der Trennung.
     
    Als ich wieder allein bin, stelle ich zunächst das allabendliche Stilleben auf dem Nachttisch neben dem Bett her: die Schlüssel für das Haus, den Schlüssel für das Auto (und zwei Ersatzschlüssel!), die Sonnenbrille, die Uhr, Oropax (hier völlig überflüssig), die Brieftasche, das Notizbuch mit den Telefonnummern, mein Bandgerät und das Kleingeld, irische Münzen. Dann trete ich aus dem Haus und auf den Rasen - weich streichelt das feuchte Gras die Sohlen.
    Kein Blatt bewegt sich.
    Die Gartenlaterne nahe der Hecke wirft ihren Schatten nach rechts, zum Nachbargrundstück hin. Ich halte die Hand so, daß der Schein mich nicht blendet, schaue hoch und sehe nichts als Schwärze. Vom See her Entengeschnatter, dann wieder Ruhe. Ich gehe auf den Kirschbaum zu, ganz nahe heran, Äste und
    Blätter im Gegenlicht - stumm, regungslos, wie erstarrt. Ich habe so etwas von stehender Luft noch nicht erlebt.
    Um mich herum kein Hauch.
    Als die Laternen ausgehen, bricht aus dem Dunkel da oben, erst langsam, dann immer funkelnder, immer strahlender, ein wahres Diadem von Sternen hervor, glimmen seine Lichter wie Myriaden himmlischer Leuchtkäfer am Firmament, gaukelt mir diese irische Sommernacht, duftend und von dröhnender Stille, wieder einmal den Traum vom Elysium vor.
    Was da aufsteigt, eine kindliche Sehnsucht nach dem Paradies, kommt ganz aus der Tiefe des eigenen Ich und hält nur für wenige Sekunden an - doch die dauern lange.
    Es ist eine seltsame und schwer beschreibbare Kombination aus Gegenwartseindrücken und einer geheimnisvollen Aufbewahrung von Bildern, deren Ursprünge nicht mehr zu ergründen sind, die aber in solchen Momenten wie Erinnerungsblitze aufzucken. Das hat übrigens auch eine Geruchsnote, was nichts mit der Nase, sondern mit der Atmosphäre zu tun hat, in der ich mich befinde.
    Es müssen weit vorschulische Eindrücke gewesen sein, die das bewirken, in einer sehr frühen und hochsensiblen Daseinsetappe empfangen. Was dabei entsteht, ist der Gegenpol meines Lebensgefühls, die Gegenwelt meiner Traumata - Zärtlichkeit, Frieden, Wärme, Helligkeit. Sie tauchen mich in ein unvergleichliches Wohlgefühl ein, das mir im Lauf der Zeit diese ewigen Sekunden immer kostbarer gemacht hat. Das hat nicht das geringste zu tun mit jenem bekannten Aha-Effekt »Diese Situation habe ich irgendwann schon einmal erlebt«, sondern entstammt einer biographischen Epoche, der Angst noch unbekannt, die von Furcht noch nicht angetastet war.
    Gewiß, die Vorstellung vom Paradies, also die zeitlich kurze, jedoch ungeheuer intensiv erinnerte Einbettung in ein visionär erfahrenes Elysium, ist mir auch anderswo gekommen, nicht nur in Irland. Aber daß sie mir hier, während meines bisherigen Aufenthalts nicht nur einmal erschien, diese Vision, daß sie mehrfach aus der wundersamen und wunderbaren Archäologie des eigenen Früh-Ich hervorgeschürft worden ist, das entspringt keinem Zufall, sondern der häufigen Nähe zwischen meinen bukolischen Träumen und so manchen meiner Begegnungen auf dieser Insel.
    Nirgendwo aber habe ich mich so zurückversetzt gefühlt in die Unschuld kindlicher Imagination von Geborgenheit wie auf diesem Flecken Erde hier, in diesem Haus, von dem ich morgen Abschied nehmen werde - Mallard Point am Lough Sheelin, County Cavan, Republic of Ireland.
     

Irische Skizzen
     
    Donegal!
    Vor Killybegs, auf dem Wege nach Slieve League, zu Europas höchsten Klippen.
    Links die Inver Bay, spitz zulaufend auf den Leuchtturm von St.John’s Point, dahinter Mac Swyhe’s Bucht - dann der freie Blick auf die Donegal Bay und die Unendlichkeit der See.
    In Serpentinen geht es an der Küste entlang, die Landschaft wildromantisch, üppigste Vegetation, auch hier im Norden Irlands Dichte, Fülle, überströmendes Grün. Dazwischen Häuser, die Zeichen eines neuen, manchmal spießigen, manchmal gediegenen Wohlstands, wenn auch um

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