Mein irisches Tagebuch
verlassen, ohne einen Blick geworfen zu haben auf sein berühmtestes Stone Fort -vom 5. bis zum 12.Jahrhundert Sitz der Könige von Ulster, hoch über allem und mit erhabener Aussicht, damals wie heute.
Ringsum Felder, gelb, grün, braun, eines davon am Fuß des Hochhügels übersät mit Krähen, Tausende dieser pickenden, hackenden, gravitätisch einherschreitenden pechschwarzen Rabenvögel.
Vorn Inch Island, mitten im Lough Swilly, eine große Insel, mit ihren Weiden, Rindern, Schafherden wie eine mäßig entfernte Spielzeuganlage, auf der man alle Lebewesen verschieben und auswechseln könnte. Weiter westlich, wo der River Swilly aus dem See tritt, zwischen Fanad Head und Dunaff Head, der blaue Rand des Ozeans. Und östlich von Grianan of Aileach, wie eine ungeheure Wasserbeule mitten im Land, ein Meerbusen, durch den sich die Grenze zwischen der katholischen Republik Irland und dem britischen Nordirland hinzieht - Lough Foyle.
Immer noch weht es warm aus Südwest, aber hier oben faucht der Wind so stark, daß man sich festhalten muß, um von ihm nicht weggetragen zu werden. Das zischt einem um die Ohren, windet sich um die Glieder wie eine unsichtbare Schlange, und fegt durch die Ritzen, Lücken und Löcher in der Trockenmauer.
Wenn ich mich in den Schutz von Grianan of Aileach stelle, den Hals hochrecke und nach rechts hinüberdrehe, kann ich direkt jenseits der Grenze, schon drüben in Ulster, Kirchtürme und Häuser einer Stadt erkennen, die mein späteres Ziel sein wird, deren Bewohner ihr aber nicht denselben Namen geben: der protestantische Teil nennt sie Londonderry, der katholische nur Derry.
Dahin später, als fünfte, letzte Etappe meiner Reise.
Achill Island
Dies ist ein privater Ort
Von der alten sechsbögigen Brücke hinter Newport wird die Sicht über die Clew Bay frei - droben dunkles Himmelsspektakel, über das Wasser nach Westen die hellen Umrisse von Clare Island, an der Gegenküste, weit links, der ungeheure Kegel des Croagh Patrick, Irlands Heiliger Berg.
Vorn scharf abgezeichnet die Grate der Corraun Peninsula, ragende Felswände, oben in den Wolken, auf den Weiden Schafe, zur See hin weite Sandflächen, Boote auf dem Trockenen, Ebbe.
Auf der Halbinsel, hinter Mulrany, nehme ich die nördliche Route. Links der Corraun Hill, davor auf kahlen Hügelflächen Stechginster, hier unten, zu beiden Seiten der R 319, Irlands überwältigendes Prachtgrün und, wie flammende Inseln, das Zyklam des wuchernden Rhododendrons.
Weiter, endlos weiter, man hat den Eindruck, nie ans Ziel zu kommen, alles scheint auf diesen Straßen doppelt so lange zu dauern. Aber dann plötzlich ist das Schild da: »Achill Sound«, liegt der Sund mit seinen Rinnen vor mir, bin ich an der Drehbrücke, von der ich soviel gehört und gelesen habe. Ich fahre darüber weg, steige jedoch auf der anderen Seite sogleich aus und gehe zurück, um nachzuschauen, ob der Schwenkmechanismus noch funktioniert, Schiffe also weiter passieren können, oder ob der Durchlaß defekt ist, der Übergang festgeschweißt und der Name Achill Island nurmehr ein touristischer Schwindel. Aber noch während ich nach Drehbolzen und Schwenkrille fahnde und gerade dabei bin, den gewaltigen Sockel in der Mitte der Fahrrinne, den steinernen Angelpunkt der Drehbrücke, zu untersuchen, kommt auch schon ein schlaksiger Ire heran, ich schätze den Mann auf dreißig, fünfunddreißig. Er grinst breit und informiert mich mit Siegermiene, als gehöre sie ihm, daß die Brücke arbeite wie eh und je: »It does work like in former times.«
Beruhigt gehe ich zurück und entdecke erst jetzt, daß jeder Besucher von Achill Island zunächst begrüßt wird von Patrick Sweeney’s Super Market, einem unübersehbarem Allzweckladen -»Hardware, furniture, meals, wines, fashion, crafts« steht über einer an Ode nicht zu überbietenden Lieferrampe. Was nichts anderes besagt, als daß man hier vom Reißnagel bis zum Beefsteak alles erstehen kann.
Durch die Ortschaft und auf die Straße ins Innere - Cashel, Keel, Dooagh, lese ich auf der Karte, die mir die Böll-Familie hat zukommen lassen, um leichter den Weg zur cottage im nördlichen Teil der Insel zu finden. Mit einem kleinen Kreis kenntlich gemacht, liegt sie geographisch am Fuß des Slievemore, ein gewaltiger, von überall her wahrnehmbarer Gebirgsblock, über 700 Meter hoch und zur Seeseite steil abfallend - sozusagen der Thron von Achill Island.
Aber vorher möchte ich die Insel erst noch ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher