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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Manchmal wünschte ich, es ihm nachtun zu können (ich weiß, vergeblich).
    Natürlich ist sein »Irisches Tagebuch« auch ein eminent politisches Werk, ohne daß die Poesie dadurch aufgehoben würde. Mir ist das nur noch einmal klar geworden bei zwei Passagen mit dem geschichtlichen Hintergrund »Die Feinde (Deutschland) meiner Feinde (England) müssen meine Freunde sein«.
    Zunächst in der Erzählung »Ambulanter politischer Zahnarzt«.
    Unnachahmlich, wie der Gast vom Kontinent auf die befürchtete Konfrontation reagiert, als Padraic sich nach dem fünften Glas Bier genug Mut angetrunken hatte, um unsicher zu forschen: »Sag mal, Hitler war, so glaube ich, kein so schlechter Mann, nur ging er, so glaube ich, ein wenig zu weit.«
    Da ist es also wieder, schon das x-te Mal gehört, Böll will resignieren, will stumm bleiben bei soviel Ignoranz. Aber Tatzeugin Annemarie Böll, anfeuernd: »Los, nicht müde werden, zieh ihm den Zahn ganz.«
    Darauf Heinrich, seufzend, doch schon halb bereit: »Ich bin kein Zahnarzt.« Aber dann bohrt er den langgepflegten Irrtum doch an. »Hitler war Hitler, er ging über die Leichen von ein paar Millionen Juden, Kinder...«
    Noch leistet Padraic Widerstand: »Schade, daß auch du dich von der englischen Propaganda hast betören lassen, schade.«
    »Komm«, sagt Böll darauf, »laß dir den Zahn ziehen.«
    Und nun bohrt und bohrt er seinen Schwur, nie zu schweigen, wenn es »darum« geht, so tief in den gehätschelten Irrtum hinein, bis der schluckende, immer gepeinigtere Hitler-Nostalgiker stöhnt: »Hör bitte auf, der Nerv liegt ganz bloß.« Und später, konsterniert: »Es ist nur so dumm, weil ich jetzt gar nicht mehr weiß, warum ich die Deutschen so gern habe.«
    Darauf Böll, im rechten Moment versöhnlich: »Vergiß nicht nachzuspülen, und wenn du Schmerzen hast, komm zu mir, du weißt, wo ich wohne.«
    Das gleiche Thema in der Erzählung »Kleiner Beitrag zur abendländischen Mythologie«, der Story von George, dem fotografierenden Pensionär und Oberst a. D., und dem Objekt seiner Linse, einem alten, uralten Mann. Der sollte zur Erprobung neuer Farbtechniken vor dem grandiosen Hintergrund einer Kirchenruine aus dem 6. Jahrhundert mit der untergehenden Sonne und einer Pfeife im Mund auf einer kleinen Insel im Shannon aufgenommen werden. Und Böll war mit eingestiegen in das Boot des Obersten im Ruhestand.
    Drüben erst einmal Tee, viel Tee im Kaminzimmer eines verlassenen Herrenhauses mit Möbeln aus der Dickens-Zeit, dann bedächtiges Gespräch zwischen dem alten Mann, der aussieht wie ein Moritatensänger vor Hunderten von Jahren, und dem Oberst -»mit seinem langen fuchsigen Haar, dem fuchsigen Spitzbart wie eine Mischung von Robinson Crusoe und Mephisto«.
    Das heißt, nur der Oberst redet, besser, er raunt auf den aufmerksam hinhorchenden Alten ein, mit vielsagenden Blicken zu dem Gast aus Deutschland, und bemüht sich, langsam, sehr langsam zu sprechen, damit der auch versteht, was geredet wird. Dies gelingt zwar nur mäßig, immerhin ist aber doch soviel zu erkennen, daß der Monolog des Pensionärs ständig drei Worte wiederholt: »Rommel, war, fair«, wozu sich bald ein viertes gesellt, ein Name - »Henry« und immer wieder »Henry«. Der auf die Shannon-Insel mitgenommene deutsche Passagier begreift zwar schnell, was mit »Rommel, Krieg, fair« gemeint ist, nämlich die Verklärung Erwin Rommels, Hitlers Feldmarschall und Chef des deutschen Afrikakorps, und des »fairen Kampfes«, der angeblich im Wüstensand geführt worden ist. Aber erst nach einiger Zeit kommt Böll dahinter, wer mit dem ehrfürchtig ausgesprochenen Namen »Henry« betitelt wird, nämlich kein anderer als er selbst, Heinrich, der ein »Held« gewesen sei in Rußland als Angehöriger der Wehrmacht.
    So indoktriniert von dem rothaarigen Oberst, packt den Alten, Uralten vor dem Gast und Ostfrontveteranen tiefer Respekt, der sich äußert in immer neuem Händedruck und den ehrfürchtig wiederholten Worten »Rommel«, »war«, »fair«, »hero« und »Henry«. Der kommt sich indessen alles andere als ehrfurchtgebietend vor, und weiß vor soviel fehlgeleiteter Begeisterung nicht ein noch aus. Als höflicher Gast sieht er sich jedoch in diese bis zum Abschied fortdauernde Verkehrtheit so eingepfercht, daß ihm artikuliertes Aufbegehren nicht mehr gelingt. Während der Alte am Ufer steht und »Rommel«, »war«, »Henry« stammelt, und der pensionierte Souffleur, schon mit dem Gast im Boot, dazu

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