Mein ist dein Herz
nicht wir im Mittelpunkt stehen.
Da Sean auch Minuten später nichts sagt, muss ich kurz zu ihm herübersehen und das, was ich in seinem Gesicht entdecke, könnte als der skeptischste Ausdruck aller Zeiten in die Geschichte eingehen.
»Was denn?«, frage ich mit unsicherer Stimme.
»Ach nichts ...«, sagt er mit einem Kopfschütteln.
Ist er jetzt etwa beleidigt?
Rein der Gestik und Mimik zu urteilen, ist er das.
Aber warum?
»Ich denke, dass Dean begeistert wäre, jemanden in seinem Leben zu begrüßen, dem es gar nicht schnell genug gehen kann«, antwortet er schließlich. »Gemeinsame Zukunft, Ehe, Kinder ... das alles gehört seiner Meinung nach zu einem der wichtigsten Ziele, die ein normaler Mensch verfolgen sollte«, fügt er trocken hinzu.
»Dein abfälliger Ton soll wohl ausdrücken, dass deine Vorstellung von einem Lebenssinn mit seiner weitreichend auseinandergeht«, konstatiere ich die Fakten. Obwohl es nicht gerade eine allzu brisante Erkenntnis ist, bin ich froh darum, dass ich zu ihr gelangt bin.
Überhaupt bestätigt es lediglich meine Annahme, dass die Jugend von heute, die einst geschätzten Traditionen längst als ›altmodisch‹ abgestempelt hat. Sie scheren sich nicht mehr darum.
Wozu auch? Wenn man statt einem Leben in Monogamie Hunderte Partner austauschen, absolut legale Vielweiberei betreiben und anstelle mühseliger Eroberungen die auf dem Silbertablett servierten ›Chicks‹ haben kann?
Ein weiser Mann sagte mir einst, dass niemand einen Wurm auf den Haken hängt, wenn dieser in einen Eimer mit gefangenen Fischen hereingeworfen wird. Und ebenso schaut es heutzutage beim ›Frauenfang‹ aus. Es gibt zu viele Mädels, die sich freiwillig den Männern an den Hals werfen. Denjenigen, die sich dann zieren, bleibt nichts anderes übrig, als in den Resten zu wühlen oder sich in ihrem Selbstmitleid zu suhlen.
Es ist hart, in diese Sachen eingeweiht zu sein, ich habe mich jedoch ganz bewusst dafür entscheiden, lieber die bittere Wahrheitspille zu schlucken, statt in dem rosa Nebel zu leben, der sich eines verhängnisvollen Tages lichtet. Und sind wir mal ehrlich: Hat man keine großen Erwartungen, gibt es dementsprechend keinen Raum für Enttäuschungen.
»Jane?«, ruft mir Sean zu. Ich schnappe aus meinen Gedanken heraus und frage mich, wie lange er wohl schon auf mich einredet. »Hörst du mir überhaupt zu?«
»Sorry, nein. Ich war gerade in Gedanken woanders«, gebe ich zu.
Er seufzt auf und drückt dabei meine Hand. »Es ist schön, dass du mir, ohne nachzudenken, die Wahrheit sagst. An deiner Meinung sollten wir dennoch arbeiten. Zumindest was mich anbetrifft. Denkst du nicht?«
»Es hat nichts mit dir zu tun, Sean! Vielmehr ist es eine Lehre, die ich glücklicherweise noch rechtzeitig aus dem Leben gezogen habe.«
»Okay«, sagt er gedehnt. »Was genau haben die Worte ›rechtzeitig‹ und ›glücklicherweise‹ in diesem Satz verloren?«
»Ich sage rechtzeitig, weil ich diese These gerade zu dem Zeitpunkt verinnerlicht habe, als mein Herz den Besitzer wechseln wollte. Und glücklicherweise, weil ich dadurch nie wieder in die Verlegenheit kam, etwas von jemandem einzufordern.«
»Hmm«, schnaubt er. »Dies wird wohl unser Streitthema Nummer eins!«, prophezeit er teils düster, teils belustigt. Wobei mich das zweite Gefühl nicht wirklich erreichen kann.
Ich will nicht streiten. Nicht mit ihm, nicht jetzt und schon gar nicht wegen so einer Belanglosigkeit.
»Bitte nicht!«, flehe ich. »Warum vergessen wir das Ganze nicht wieder und widmen uns eher der schweren Entscheidung, was wir heute Abend machen sollen?«
»Billard schieben wir auf Sonntag, Disko auf morgen, bleibt nur noch Kino oder aber das normale Fernsehprogramm. Da im Fernseher sowieso immer irgendein Müll läuft, haben wir unseren Sieger. Gibt es hier in der Nähe ein Kino?«
Man ist das ein Mann ...
Sprachlos und leicht benommen nicke ich ihm zu.
»Komödie oder Action?«
»Mir egal.«
»Na dann. Mir kommt es so vor, als ob du ein paar unbeschwerte Minuten vertragen könntest, also steht der Plan. Jetzt können wir uns wieder dem Hauptthema widmen. Erzähl mir doch bitte mal, was du von einer Beziehung hältst, bei der das gegenseitige Vertrauen fehlt ...«
W as macht eine Frau, wenn ihr auffällt, dass der neue Mann an ihrer Seite weder Diskussionen noch intensive Aussprachen fürchtet? Manch eine hätte sich duckend in irgendein Eck verkrochen, eine andere wäre sicherlich froh drum, ich aber
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