Mein ist dein Herz

in der Zwischenzeit das Potenzial bekommen, mich selbst dann hochschrecken zu lassen, wenn ich bereits tot im Grab läge. Nicht, dass ich das nachweislich belegen könnte, gefühlsmäßig ist es absolut zutreffend.
    Als würde mir jemand den kalten Pistolenlauf gegen die Schläfe drücken, gerate ich sofort ins Zittern und spüre, wie mir der Panikschweiß auf die Stirn tritt. Und obwohl ich das nicht will, ziehe ich mein weiterhin vibrierendes Handy aus der Hosentasche.
    Ich brauche keine hellseherischen Kräfte, um den Absender zu erraten. Es kann nur Tyler sein ...
    ‹ T YLER ›
    Wo bist du schon wieder?
    Mist! Hat er einen ›Jane-fährt-zu-Sean-Radar‹ im Kopf, oder was?
    Geübt im schnellen Tippen, verfasse ich binnen weniger Sekunden eine Standardantwort.
    Re: ‹ T YLER ›
    Bin heute mit meinen Freundinnen unterwegs, weil ich davon ausging, dass du heute Olive besuchst.
    Keine Minute später vibriert mein Handy erneut. Diesmal ohne Ton, den ich ebenfalls standardmäßig abgeschaltet habe.
    ‹ T YLER ›
    Und ich ging eigentlich davon aus, dass du mitkommst. Du warst schon seit Monaten nicht mehr da und Olive würde sich bestimmt freuen.
    Pah! Der kleine Giftzwerg und sich über mich freuen? Dass ich nicht lache!
    Olive gehört zu der anderen Kategorie von Giftzwerg als Nancy. An der Märchenwelt gemessen, wäre meine Freundin ›Happy‹ aus Schneewittchen und Tylers Schwester Ellen eine härtere Art vom Grinch.
    Re: ‹ T YLER ›
    Richte ihr und Marley meine Grüße aus und genieße das Wochenende. Ich muss sowieso bis Sonntag in der Vertretungsfirma durcharbeiten.
    Eine glatte Lüge, die mir so langsam immer leichter von den Lippen, beziehungsweise von den Fingern geht. Weil ich es immerzu in einer Nachricht mitteile und nicht ausspreche.
    Nun, wie Sie sich bereits denken können, geht es bei meinem Dilemma um Untreue. Ich, die treuliebende, stets ehrliche Frau, sehe mich tatsächlich gezwungen, zwei Männer anzulügen. Aber bevor ich an den Pranger gestellt werde, möchte ich den Hintergrund dieser - auch in meinen Augen - niederträchtigen Schandtat erklären.
    Als Tyler einst auftauchte, mich am Rausfahren hinderte und anschließend mit ganz viel verbalem Dreck übergossen hat, stand für mich eins eindeutig fest: Dieser Mann ist nichts für mich. Ich habe seinetwegen viel zu viel erduldet und noch mehr eingebüßt. Sean hat mir gezeigt, dass es auch anders geht. Dass ich als Frau sowohl begehrenswert, wie auch liebenswert bin. Nachdem ich meinen neuen ›Lichtstrahl‹ allerdings heimgebracht und mich wieder Zuhause eingefunden habe, kam mir Tyler aus dem Wohnzimmer entgegen.
    Dass er einen Ersatzschlüssel zu meiner Wohnung besitzt, habe ich tatsächlich vergessen und war dementsprechend nahe dran, einen Herzkasperl zu erleiden.
    Ein hitziges Wortgefecht brach aus, bei dem viele Sätze den Besitzer wechselten, welche unter anderen Umständen niemals zur Aussprache gekommen wären. Schlussendlich war es aber Tylers Tat, die reinste Verzweiflung widergespiegelt hat und mein dazu stoßendes Mittleid, die mich um mein Glück bringen sollten. Sobald Tyler jedoch in die Küche stürmte, ein Messer aus dem Messerblock herauszog und dieses an seinen Hals hielt, sah ich nur einen Weg, um dem ganzen Drama zu entgehen: Ich ging auf seine Forderung ein und versprach ihm, dass ich bei ihm bleibe.
    Dass seine Erpressung mich bald schon in einen Zombie verwandelt, habe ich hierbei nicht bedacht. Auch nicht, dass dies erst der Anfang allen Übels war.
    Sie erinnern sich an das Wortgefecht? Tja hierbei muss wohl so etwas gefallen sein, wie:
    »Hast du deinen Spaß mit ihm gehabt? Hat er es dir so richtig schön besorgt?«
    »Ja! Und es ist wirklich geil, wenn man den Schwanz zweckentsprechend verwendet!«
    Das ist es auch, was mir immer und immer wieder von Neuem aufs Brot geschmiert wird.
    Seit dem Beziehungsaus, das Tyler für nichtig erklärt hat, gab es keinen einzigen intimen Moment mehr zwischen uns. Manchmal bekomme ich auch das Gefühl, dass er mich nur deswegen wiederhaben will, weil ihm mein Glück gehörig gegen den Strich geht. Jedenfalls steht er nun zwischen mir und Sean. Und jedes Mal, wenn ich mit Tyler Schluss machen will, droht er mir mit einem Selbstmord. Er verwandelt sich buchstäblich in ein heulendes Stückchen Elend, das sich zu Boden wirft und sich um meine Füße windet.
    Ich kann es so langsam nicht mehr ertragen, schaffe es allerdings auch nicht, über ihn hinwegzuschreiten. Sämtliche