Mein ist dein Herz
aus dem Häuschen sein.
Ich trete noch ein Stück weiter zurück und stoße auf warme Hände. Sean legt diese sogleich auf meinem Bauch ab und mir wird erstmals bewusst, was der wirkliche Grund für meine Reaktion von vorhin ist. Es liegt an meinem unterschwelligen Wunsch, ebenfalls schwanger zu sein! Eine Idee, die mich des Öfteren heimgesucht hat, der ich aber niemals länger als für den Bruchteil einer Sekunde nachgehangen bin.
Nein! Darin darf ich nicht die Rettung sehen.
Es könnte natürlich so sein, dass mir die Entscheidung wesentlich leichter fällt, wenn ich Seans Kind erwarten würde, aber ist das ein Grund, um ein Kind zu zeugen?
Anders gefragt: Darf man eine Schwangerschaft als die Lösung für ein Problem ansehen? Wohl kaum!
»Wollt ihr auch gleich einen Termin für die Hochzeit festlegen?«, fragt Grandma Wildmann.
»Ich dachte eigentlich, dass wir damit bis nächstes Jahr warten ...«, beginnt Dean. Wie erwartet, setzt Nancy sogleich einen nahezu bettelnden Gesichtsausdruck auf, der keinem am Tisch entgeht, außer ihrem Verlobten, der stattdessen grübelnd zu einem auf der Wand hängenden Kalender guckt. »... es wäre allerdings schöner, sollte es bereits im August stattfinden.«
»Wozu die Eile? Lebt doch erst ein Jährchen zusammen, lernt euch richtig kennen, dann könnt ihr immer noch Hochzeit feiern«, erhebt nun auch das Oberhaupt der Familie das Wort. Dass Wilhelm die ganze Zeit schwieg, war ja nicht weiter verwunderlich, weil man seine Stimme grundsätzlich selten zu hören bekommt, sein Einwand bringt aber alle Kinnladen dazu, nach unten zu klappen. Wie sich Cicy gerade fühlt, will ich mir nicht einmal ausmalen.
Die Spannung wächst mit jedem Moment und wird von einer Sekunde zur anderen immer unerträglicher, bis Grandma mit ihrem altmodischen Krückstock auf den Boden stampft und somit all unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt.
»Ich kann es dir nicht erlauben, Wilhelm, dass du die Kinder allein des mangelnden Budgets wegen warten lässt. Dean, Nancy ... ihr heiratet dann, wann ihr wollt und ich werde die Kosten für die Hochzeit selbstverständlich übernehmen ...«, verlautet die alte Dame in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet.
»Wir ... ich ... nein, Granny!«, stammelt Nancy. »Es muss doch gar keine Hochzeit geben! Ich brauche weder das Kleid noch das Fest danach. Wenn es eine kleine Feier im Kreise der Familie ist ...«
»Pappperlapp, Kind!«, wendet nun auch Adriana ein. »Natürlich bekommt ihr eine Feier, Kleid, Anzug, Ringe und all das, was dazugehört! Es hat uns einfach überrascht ...«
»Aber das ist wirklich nicht nötig, Mum!«, sagt Dean.
»Tradition ist Tradition, mein Lieber. Und die Wildmanns waren schon immer bekannt dafür, diejenigen zu sein, die sämtliche Bräuche ehren, welche uns in die Wiege gelegt wurden«, erklärt ihr Dad.
Der Punkt geht eindeutig an ihn, würde ich sagen. Ich habe selten so eine Familie gesehen, die dermaßen Wert auf Gepflogenheiten legt. Alles, was für den wohlerzogenen Engländer schicklich ist, findet man bei ihnen zuhause.
Selbst diese Wohnung hier ist mit einem Kurztrip nach England gleichzusetzen. Abgesehen vom fehlenden Kamin und dem gepflegten Rosengarten - beides unerreichbarer Luxus in Deutschland, sofern man lediglich eine Witwenrente bezieht - fehlt es hier an gar nichts. Schallplattenspieler, mit Schnörkeln verziertes, massives Sideboard, obendrauf unzählige Bilderrahmen und eine wunderschöne Aufziehuhr in ihrer Mitte ... Ich für meinen Teil fühlte mich hier auf Anhieb sehr wohl. Wie zu Besuch bei meiner eigenen Oma.
Nun erklärt sich mir auch, warum Seans Dad so reagiert hat. Es ist so üblich, dass die Eltern des Bräutigams für die Hochzeit aufkommen. Was aber für manch einen einer Selbstverständlichkeit gleicht, ist für die Wildmanns untragbar. Sie sind seit ihrer Auswanderung auf jeden Cent angewiesen, arbeiteten hart, können aber dennoch nichts zur Seite legen, weil das Leben heutzutage viel zu teuer geworden ist. Als Adriana aus gesundheitlichen Gründen ihre Arbeitsstelle aufgeben musste, brachte das die Familie an die Grenze zur Armut.
Das ist auch ein Grund, warum ich immer zuerst einkaufe, bevor ich zu ihnen fahre und Sean immerzu abhole und nicht selbst für die Bahnkarte zahlen lasse. Seine Eltern sind auf seine Ausbildungsvergütung angewiesen, solange er bei ihnen lebt und es wäre nicht in meinem Sinne, dafür zu sorgen, dass die Familie meinetwegen auf irgendwas
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