Mein ist der Tod
dürfen Wein trinken!
Sie lief hinter den Grafiktisch zur Küchenzeile und holte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank.
Ich muss dir etwas sagen.
Martina stellte die Flasche ab und wandte sich zu ihm um.
So fangen Männer an, wenn sie sich in eine andere Frau verirrt haben.
Ich werde die Stadt verlassen. Wenn das Fenster fertig ist. Ich muss woanders leben. Allein. Ich kann hier nicht mehr bleiben.
Und wer ist sie?
Ich habe gerade gesagt, dass ich allein –
Sieh mich wenigstens an.
Er drehte sich um.
Also?, fragte sie
Wird das ein Verhör?
Keine Gegenfragen bitte, das ist jämmerlich.
Niemand, sagte er. Warum glaubst du das?
Sie schüttelte den Kopf.
Nur so ein Gefühl. Wenn du gehen musst, musst du gehen. Mach es nicht komplizierter, als es ist. Aber lass uns etwas Zeit, ja? – Bitte. Ich brauche Zeit. Ihr Männer seid immer zu schnell mit Gefühlen.
Was sie noch sagen wollte, verschwieg sie. Sie schob ein paar Grafiken beiseite, stützte sich mit gestreckten Armen auf die Ahornplatte und senkte den Kopf. Das Schweigen zwischen ihnen würde irgendwann vorübergehen, das wusste sie. Sie hatte nicht die Kraft, es zu brechen.
Er sah das Schweigen als Nebel vor sich: Es hatte einen bräunlich-violetten Ton: Caput mortuum. Der Farbe wegen hielt er die Stille nicht aus und sagte: Ich bin ja auch viel zu alt für dich.
Das steht dir nicht zu, antwortete sie sofort. Das dürfte nur ich sagen. Aber ich sage es nicht.
TAGEBUCH
Ihr erster Körper ist im Wald entdeckt worden. Ausgerechnet ein Künstler, der angeblich ein Auferstehungsfenster für die Aegidiuskirche machen soll, hat sie gefunden. Was weiß so einer schon von Auferstehung! Jetzt sind ihre drei Leiber endlich bereit, verscharrt und mit dem Kreuz gebannt zu werden.
Als sie mir damals auf dem Kamm des Mahrwalds erschien, hatte sie ihre Gestalt geschickt gewählt: eine harmlose Wanderin. Aber mich konnte sie nicht täuschen. Ich sah hinter der Menschenmaske den Kopf der Schlange.
Als ich meine Kapuze zurückstreifte und sie in meine Augen sah, verriet sie sich durch die Höllensprache. Ihre falsche Freundlichkeit: Sie tat, als wollte sie von mir den Weg wissen und als könnte sie nicht richtig Deutsch.
Ich bin erstaunt, wie sehr sie mich jedes Mal unterschätzt hat. Vielleicht hat sie jetzt begriffen, dass ich ihr überlegen bin und dass es keinen Zweck hat, noch einmal zurückzukehren.
Sollte sie es wieder versuchen, wird mein Schwert sie von selbst finden. Es kennt den Geschmack ihres Blutes und wird von Mal zu Mal klüger. Ich kann spüren, wie es zuckt, weil es die Welt reinigen will.
Es ist unbestechlich und von göttlicher Klarheit.
VI
Die Dantebarke
DAS BLUTIGE HERZ IN DER AEGIDIUSKIRCHE war nur ein Vorbote der Angst. Nach dem Leichenfund im Mahrwald verbreitete sie sich in den Häusern der Kleinstadt, als ob sie im Hochwasser von Mühr und Mahr mitgeschwemmt und als Nebel aus den überfluteten Nelda-Auen aufsteigen würde. Wie in fast jedem Frühjahr traten die Flüsse, die Zungen umarmten, auch in diesen Tagen über die Ufer, ihr Wasser lief auf die ufernahen Straßen, von dort in die Altstadt – nur wenige Zentimeter hoch, doch das genügte, um alle Gassen mit einer feuchten Kälte zu erfüllen. Die Sonnentage waren vorüber, und eine dichte Wolkendecke legte sich steingrau über die Dächer. Gegen Abend riss der Himmel auf und spiegelte sein düsteres Rot in den Straßen, die Nächte waren tief und klar, der Morgen brachte schönes Licht, doch vormittags schloss sich der Himmel erneut.
In diesem Klima gedieh die Angst vor dem unbekannten, zweifellos geisteskranken Frauenmörder und verwandelte sich in Zorn auf die Polizei, der in Leserbriefen und Befragungen des regionalen Fernsehsenders zum Ausdruck kam.
Kriminalrat Klantzammer sah sich genötigt, öffentlich dem Eindruck der Untätigkeit oder, was schlimmer war, der Unfähigkeit seiner Behörde entgegenzutreten. Vorzuweisen hatte er nichts, denn selbst die wenigen gesicherten Spuren musste er mit Rücksicht auf die Ermittlungen verschweigen. So blieb ihm nur zu erklären, die Polizei arbeite mit allen verfügbaren Kräften an der Ergreifung des Täters, werde inzwischen durch die kriminaltechnischen Möglichkeiten des Landeskriminalamtes und sogar vom Bundeskriminalamt unterstützt. Von dort sei eine Chefermittlerin nach Zungen an der Nelda gekommen. Dies zeige deutlich: Wir tun alles, was in unserer Macht steht. Und wir bitten auch die Bevölkerung, zu melden,
Weitere Kostenlose Bücher