Mein ist der Tod
doch es klang nicht nach ernsthaftem Widerstand.
Vom angebotenen Kuss war er überrascht, wich aber nicht aus. Und Frau Bossi fragte sich, warum sie das nicht schon vor vier Jahren getan hatte.
Die verfluchten Flaschen waren nicht zu finden. Frank Züllich wusste, dass seine Mutter Alkohol vor ihm versteckte und viel Phantasie darauf verwandte, neue Geheimdepots anzulegen, wenn er die bisherigen entdeckt hatte. Er war von seinem morgendlichen Jogging zurück, als Verena Züllich das Haus verließ, und hatte eine Dreiviertelstunde Zeit, die sie brauchte, um wie jeden Samstag zum Markt auf dem Neldaplatz zu gehen und einzukaufen.
Verschwitzt, wie er war, durchsuchte er den Kleiderschrank, die Wäscheschubladen, den Schuhschrank. Jedes Paar Schuhe konnte als Versteck für kleine Schnapsflaschen dienen. Nichts im Backofen. Nichts darunter im Fach für die Bleche. Nichts hinter dem Abfalleimer. Nichts zwischen den Plexiglasdosen mit Nudeln, Mehl, Reis. Er hob das Netz mit Kartoffeln aus dem blauen Tontopf an und fand darunter eine Halbliterflasche Gin, öffnete sie und ließ den Inhalt in den Ausguss laufen. Zuletzt fiel ihm der Kühlschrank ein, in dem seine Muter unverborgen drei Flaschen Wein in das unterste Türfach gestellt hatte. Er musste grinsen, weil sie ihm nicht zutraute, am normalsten Ort für Flaschen zu suchen und gehofft hatte, ihren Vorrat durch Sichtbarkeit unsichtbar zu machen.
Eine kleine Flasche Weinbrand fand er unter ihrem grünen Hut auf dem oberen Brett der Garderobe, ein halber Liter Doppelkorn steckte kopfüber im Tonkübel der großen Zimmerpalme, der Glasboden war zu dünn mit Erde bedeckt.
Frank trug die entleerten Flaschen zur Sammeltonne im Hinterhof, ging in seinen Schuppen, schloss die Tür hinter sich ab, startete den Desktop-Rechner und stieg in ein First-Person-Shooter-Spiel ein, in dem er in der Rolle eines hochgerüsteten Kämpfers namens Hero Kles auftrat. Er hatte seinen Rechner mit einer übertakteten GTX 560 Ti Karte mit Dual Fan Kühler ausgerüstet, die Grafik auf dem 28-Zoll-Bildschirm war beeindruckend glatt und extrem realistisch, die Bewegungen der Kämpfer fließend, der Sound voll und räumlich.
Es ging darum, seinen Kombattanten, der von einer teuflischen Herrin namens Heka gefangen gehalten wurde, zu befreien. Dafür bediente er sich einer Wunderwaffe, die sich je nach Notwendigkeit in alle Instrumente der Gewalt, vom Dolch über Kettensäge und Maschinenpistole bis zum Raketenwerfer, verwandeln konnte, wenn er die entsprechenden Befehle eingab. Die gegnerischen Kreaturen waren ebenfalls hochgerüstet, ihre Körper zerspritzten unter seinen Schüssen, Blutfontänen stiegen auf, ein Höllengeschrei aus Wut und Schmerz mischte sich mit den Schussgeräuschen, dem Wummern der Explosionen und dem Heulen abgefeuerter Luftminen, und endlich schaffte er es nach einer Strecke von fünfzig getöteten Gegnern zum nächsten Level, in dem er zur Erholung ein Bordell betreten und sich mit den nackten Huren zu entsprechend lautem Lustgestöhn vergnügen konnte.
So lange die Damen zufrieden waren, durfte er bleiben, doch je länger er sich dort aufhielt, desto mehr Krieger konnte die Schreckensherrscherin Heka entsenden. Also schlug er sich weiter zur Burg durch, in der sie wohnte: eine halb nackte blonde Riesin, die ihren Körper mit ledernen Patronengurten und einem mit Waffen bestückten Keuschheitsgürtel bedeckte, die Brüste freiließ und hinter ihrem Puppengesicht eine Bestie verbarg. Ihre Arme waren mit ungeheuren Muskeln bepackt, die nackten Beine endeten in nagelbesetzten Fallschirmspringerstiefeln.
Er, Hero Kles, wusste, wie Heka zu besiegen war: mit dem Gralsschwert, das er aus den Kerkern ihrer Burg holen musste, wo es von Schlangen bewacht wurde. Nur mit diesem Schwert konnte die Entsetzliche besiegt werden.
Er zerschoss und erschlug, zersägte und spaltete die Krieger, die scharenweise aus der Burg auf ihn einstürmten. Die Finger seiner linken Hand flogen über die Tatstatur, wo er sich die Befehle im Mittelfeld programmiert hatte, die rechte Hand bewegte hastig die Maus, die das Fadenkreuz oder seine Position steuerte.
Die Faustschläge seiner Mutter Verena an der Tür, ihre verzweifelten Schreie, ihr Weinen übertönte er, indem er die Lautsprecher bis an die Schmerzgrenze hochfuhr und weiter seine Gegner abschlachtete.
Wilfried Herking kam an Samstagen erst nach zehn Uhr in die Redaktion. Um halb elf fand er eine nächtliche E-Mail von Swoboda
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