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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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dass er so wie jetzt, wenn seine Zeit käme, einigermaßen entspannt sterben könnte: ein Glas Scotch zwischen den Fingern und die glühende Abendsonne vor Augen, die auf den Rand der Welt aufsetzte. Besser wäre, wenn seine Frau Mariama, die im Haus das Essen vorbereitete, dann neben ihm säße.
    Warum dachte er an den Tod? Warum spürte er hinter der Ruhe, die ihn umgab, etwas anderes, etwas, das kommen würde und noch kein Gesicht hatte, eine Veränderung, die er nicht vorhersehen konnte? Lag es daran, dass er immer zu Beginn der Regenzeit in eine Nachdenklichkeit verfiel, die seine Frau als Depression bezeichnete? Oder neigte sich sein Leben bereits dem Ende zu, bevor er das siebzigste Jahr erreicht hatte? Das echte Datum seines Geburtstags kannte er nicht, wusste nur, dass er vermutlich in einem Oktober zur Welt gekommen war. Die weißen Nonnen hatten den 15., vielleicht weil er in der Mitte zwischen dem möglichen frühesten und dem spätesten Monatsdatum lag, in seine gambischen Papiere eingetragen und behauptet, Geburts- und Taufurkunde seien verloren gegangen. Er nannte das für sich die einfachste Lüge und hatte sie übernommen. Wenn er gefragt wurde, gab er ohne zu zögern den 15.10.1945 an, denn ein Lehrer, der seinen eigenen Geburtstag nicht weiß, war nicht vorstellbar. Aber das Stück Wahrheit, das jeder Mensch mit dem richtigen Datum seiner Geburt besitzt, war ihm nicht gegeben. Manchmal fehlte es ihm so sehr, dass er zweifelte, ob er nicht nur in seiner eigenen Einbildung existierte.
    Er hörte die Fähre ablegen. Das Tuckern der Pontonplattform würde bald anders klingen, wenn das Wasser weiter stieg. Jetzt, Anfang April, waren die breiten Ufer der Flussbiegung, an der die Kleinstadt Bansang lag, erst eine Hand- breit überschwemmt.
    Der Gambia River, der aus Nord-Guinea kommt, wo er in den Bergen von Fouta Djallon entspringt, durch den Senegal und das ganze schmale Land Gambia nach Westen fließt, bis er als breiter Trichter bei Banjul in den Atlantik mündet, ist ein göttliches Wesen aus Wasser, und Joseph Mboge hatte ihn sicherheitshalber seinem christlichen Glauben an die Dreifaltigkeit als vierte Kraft hinzugefügt.
    Dem Lehrer war der Anblick des Flusses wichtiger als seine wirtschaftliche Bedeutung. Der schönste Abschnitt waren für ihn die Stromschnellen bei Barra Kunda, wo der Gambia noch im Senegal, neun Kilometer vor der Grenze, aus dem kargen Hochland in die Ebene und zwischen die Wälder einfällt. Der Ort heißt Barrakunda Falls, was zumindest in der Trockenzeit eine Übertreibung ist.
    In der Regenzeit füllt sich der Fluss und tritt schon in der Upper River Region über die Ufer. Bei Barra Kunda überstürzen sich seine Wasser. Zwischen den Felsen schäumt ihre Gischt, in Schleiern steigt Wasserstaub auf und weht ans Ufer.
    Vor sechzehn Jahren, am Ende der Regenzeit, hatten Joseph Mboge und seine Tochter Aminata dort unter dem Licht des Vollmonds einen Nachtregenbogen gesehen.

    Damals hatte der Gambia ungewöhnlich viel Wasser geführt. Erst Anfang November sollte sich er aus den gefluteten Gebieten allmählich in sein Flussbett zurückziehen und den fruchtbaren Schlamm in der Landesmitte und im Westen auf den Maisfeldern und Reisplantagen stehen lassen. Die großen Himmelsspiegel der überschwemmten Ufer, auf denen sich abends glühende Wolkenbilder bis zu den Ölpalmenplantagen dehnten, trockneten später als sonst aus. Seit den letzten Oktobertagen aber trieb der Harmattan aus der Sahara der Luft die Feuchtigkeit aus, die Joseph mit der Hand prüfen konnte. Er brauchte dafür keine Wettervorhersage im Fernsehen, sondern streckte lediglich die Hand über den Kopf, schnappte sich etwas von dem Wüstenwind, führte die Faust an seine Nase, öffnete die Finger und roch den Staub der Sahelzone.
    Es ist bald so weit, ich rieche den Sand.
    Die Schulkinder lachten und bewunderten ihn.
    Jetzt wurde es Zeit, mit seiner Tochter zu den Stromschnellen von Barra Kunda zu fahren und ihr zu erzählen, wer sie war.
    Aber ich habe nur zwei Tage, dann muss ich nach Banjul zurück, ich habe Prüfungen, und wenn ich den A-Level nicht schaffe, bist du sauer, sagte Aminata.
    Zwei Tage sind genug, es ist Vollmond, das weiße Krokodil steht am Himmel, du wirst nachts einen Regenbogen sehen, und es wird die wichtigste Prüfung in deinem Leben sein.
    Aminata lächelte nachsichtig. Ihr Vater war mindestens ein Jahrhundert von ihr entfernt.
    Ich glaube nun einmal nicht dran.
    Aber das heilige Krokodil ist

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