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Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Eher zünd ich den ganzen Laden an!
    Bevor Freya etwas entgegnen konnte, stand Korell auf.
    Das reicht, Herr Paintner. Wir haben beide Ihr Geständnis gehört. Sie können jetzt gehen.
    Paintner blieb sitzen und behielt ihn im Blick.
    Das lässt du zu, Freya, dass mich dieses Bürschchen aus deinem Haus wirft? Hast du vergessen, wer dich vor dem KZ bewahrt hat? Du hättest dein achtzehntes Jahr nicht überlebt, das weißt du doch. Ich hoffe, du weißt es. Und wer dir nach der Lähmung sehr großzügig unter die Arme gegriffen hat? Wer den Prozess bezahlt hat? Überleg dir gut, was du tust. Alles, was gegen die Paintners geht, geht auch gegen dich.
    Seine Schwester antwortete leise: Schade, dass sie hierzulande keinen mehr hängen.
    Er stand auf, verließ das Zimmer, holte in der Halle Hut und Mantel aus der Garderobe, schlug die Tür hinter sich zu.
    Freya bat Korell, sie allein zu lassen. Er zog sich zurück. Sie lenkte den Rollstuhl in den rechten Erker zu ihrem Sekretär, griff zum Telefon und rief ihre Pflegerin an.
    Ich brauche Sie, Dorina. Gleich!

    Gernot Paintner atmete auf, als er das Grundstück verlassen und die Straße erreicht hatte. Die Windböen waren schwächer geworden, die Wolken zu treibenden, weißen Fetzen zerrissen. Wenn die Sonne herauskam, war ihre Kraft zu spüren. Der weißhaarige Mann, der aufrecht den Erpenberg hinunter zur Stadt lief, behielt seinen Hut in der Hand und war dankbar für die Wärme auf seinem Gesicht.
    Einer Laune folgend wandte er sich am Ende der Straße nach links, folgte zwei Gassen zwischen Grundstücksmauern in westlicher Richtung und gelangte nach wenigen Minuten an die Mühr. Sie war wieder auf ihr Flussbett begrenzt. Licht blitzte auf den Wellen, zwei Paare flanierten auf dem asphaltierten, alten Treidelpfad, ein Jogger lief an ihnen vorüber, den Paintner zu kennen glaubte, die Uferbänke waren frei, die Fliederbäume standen weiß in Blüte. Paintner suchte sich eine Bank, die von Sonne und Wind getrocknet war, setzte sich in die Mitte und blickte auf den Fluss.
    Er hielt Freyas Satz, dass sie ihn gern hängen sehen würde, für eine dumme Provokation der kleinen Schwester. Gegen seinen Willen hatte sie seine Erinnerungen belebt, und die Bilder jener Nacht im April 1945 waren ihm so gegenwärtig wie seit Jahrzehnten nicht.
    Sein Vater hatte entschieden, den Fluss zu benutzen. Gernot hatte mit einigen Versprengten seines SS-Regiments Nibelungen zum Schutz der Stadt eine Verteidigungsstellung an der Mahrbrücke bezogen. Helmut war in Ungarn verwundet worden und hielt sich seit zwei Wochen wegen seines Kieferdurchschusses zu Hause auf.
    Das Todesurteil für den schwarzen Schänder stand fest, seit Freya ihrer Mutter die Schwangerschaft gestanden hatte.
    Am Mahrufer, das Kahnlände hieß und zum Teil dem Holzbetrieb, zum Teil dem Maurerunternehmen Ehrlicher als Anlegestelle diente, waren drei Kähne vertäut, mit denen die Arbeiter zwischen angeflößten Baumstämmen manövrieren oder abgetriebenes Holz an ihren Floßhaken im Schlepp anlanden konnten.
    In der Nacht stieg Ludwig Paintner mit seinen beiden Söhnen ins Boot. Sie hatten einen Spaten dabei. Gernot trug seine Daimon-Taschenlampe mit ihrer Lederschlaufe am Hosenträgerknopf. Es war der zwölfte April, ein Donnerstag, dichte Wolkendecke und Neumond.
    Neun Tage zuvor hatte Heinrich Himmler angeordnet, dass in Häusern, an denen vor den anrückenden Alliierten die weiße Fahne gehisst wurde, alle männlichen Bewohner zu erschießen seien.
    Obwohl die mondlose Nacht nicht kalt war, trugen sie gewalkte, dunkelblaue Flößerjacken, wasserdichte Krempstiefel und schwarze Kappen aus Filz. Ludwig Paintner stand am Heck, steckte den Riemen in die Ruderdolle und steuerte den Kahn, auf dessen Querbrett seine Söhne hockten und nach vorn starrten, auf das Wasser, das sie nicht sahen. Es war matt wie Kohle, und in der Stille war das Gurgeln vom Heck, wenn der Vater beim Wriggen das Ruder zu sich zog und von sich stieß, so laut, dass sie fürchteten, entdeckt zu werden. Ludwig Paintner hatte Bewegung und Drehung des Riemens in Form einer liegenden Acht von klein auf gelernt, und er führte sie auch in dieser Nacht sicher und gleichmäßig aus. Er wusste, was er seinen Söhnen abverlangte. An ihm konnten sie sehen, dass es keinen Zweifel an der Tat gab, die sie ausführen würden. Sie war gerecht. Sie war richtig. Sie war notwendig. Es ging um die Familie. Es ging darum, die Schande zu vermeiden. Es ging um die

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