Mein ist der Tod
sackte auf den Rücken.
Gernot drückte Helmut den Spaten in die Hand.
Die Arme. Einfach senkrecht drauf.
Nun mach schon, sagte der Vater, als er Helmut zögern sah. Der Sohn folgte, hob den Spaten mit beiden Händen, schloss die Augen und stach ihn nieder. Er brach Yoro den linken und den rechten Unterarm. Der Oberkörper bog sich jedes Mal hoch und fiel zurück.
Ludwig Paintner zog dem Bewusstlosen die Mütze aus dem Mund. Er streckte die Hand nach dem Spaten aus, und Helmut übergab ihn.
Dann wollen wir mal, sagte der Vater, holte aus und schlug Yoro Mboge mit der flachen Spatenschaufel den Schädel ein. Plötzlich war Stille. Helmuth schaltete das Küchenlicht aus. Gernot knipste die Taschenlampe an, zog mit dem Schieber die rote Scheibe zurück und leuchtete dem Toten in die Augen.
Wir lassen das Licht aus, die Daimon reicht, sagte Ludwig Paintner.
Der Vater wusste alles. Wie man Holzbohlen aushebelt, wie man darunter Raum schafft. Sie hatten nicht viel Mühe mit dem Leichnam, die Fischerhäuser waren ohne Keller auf niedrigen, gelüfteten Fundamenten mit einem halben Meter Abstand zum Boden gebaut. Der Vater wusste, wie man das Blut mit Flusswasser wegschwemmt, eimerweise schütteten sie es in der Küche aus, schoben es mit dem Schrubber zum Gully unter dem Zinkbecken. Wo sonst Alois Dietz das Blut und die ausgenommenen Innereien der Fische hatte ablaufen lassen, rann Yoros Blut in die Nelda.
Gernot Paintner hatte den Kopf zurückgelegt und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Er schloss die Augen. All die Jahre seit der Neumondnacht im April 1945 war er sicher gewesen, das Richtige getan zu haben. Nicht allein Freya, sie alle waren durch die Schande in Gefahr geraten. In den letzten Kriegstagen waren übereifrige Nazis blindwütig gegen jeden vorgegangen, den sie für die absehbare Niederlage verantwortlich machen konnten. Er und Helmut und ihr Vater hatten das einzig Mögliche getan: Sie hatten die Familie geschützt.
Nur Helmut hatte die Tat nicht verkraftet und sich in einer Dämmerung verfangen, die ihn nicht mehr entließ.
Ihm selbst waren nie Zweifel gekommen. Sie hatten richtig gehandelt. Jetzt, am Ende seines Lebens, sollte ihn diese Selbstverständlichkeit vor den Kadi bringen? Was wussten die Menschen denn noch von jener Zeit? Sie kannten nur Frieden. Wie sollten sie urteilen können?
Er öffnete die Augen, hob den Kopf und blinzelte, als ihn die Lichtblitze der Flusswellen trafen.
Und dann hatte dieser Erbschleicher von irgendeinem Raskolnikow geschwafelt. Kuriose Idee, dass jemand durch sein Gewissen krank werden könnte. Nun ja, ein Roman eben.
Gernot Paintner erhob sich, streckte seinen Rücken, setzte seinen Hut auf und lief weiter am Ufer entlang zur Innenstadt. Als er an einer Bank vorüberkam, auf der ein Paar in schöner Liebeslust verknotet saß, blieb er stehen, wartete, bis die beiden sich gestört fühlten und zu ihm hersahen. Er schüttelte langsam den Kopf und bedachte sie mit einem missbilligenden Blick.
Der Mann sprang hoch, war mit zwei Schritten bei Paintner und stieß ihn mit den Händen vor die Brust. Die junge Frau auf der Bank zog ihren Rock über die Schenkel und lachte. Der Alte taumelte, bückte sich nach seinem Hut, hob ihn vom Boden und entfernte sich.
TAGEBUCH
Das Einzige, was unsere Welt rettet, ist die Dichtung.
Hoffentlich wissen die Banausen, wo sie nachlesen müssen, es geht um DANTE!
Natürlich kann jeder überleben, ohne eine Zeile von Dante gelesen zu haben. Aber es stirbt sich besser mit ihm.
Er hat für uns das Paradies gebaut.
Irgendwann werde ich ihm begegnen. Ihm und Vergil. Ich muss dafür sorgen, dass man mir einst die Göttliche Komödie mit in den Sarg legt, damit ich meinen Weg finde. So, wie er ihn fand, obwohl er sich am Anfang verirrt hatte:
Abseits des Wegs gerieten meine Schritte
in einen Wald voll Dunkel und Gefahren,
als ich dort lief in meines Lebens Mitte …
Genauso ging es mir!
Ich bestand ganz und gar aus Ängstlichkeit, die mir bis in die Knochen zog. Ich war aus Sünden gemacht, die in meinem Fleisch wohnten wie Würmer.
Dante hat mir die Stufen der Erlösung gezeigt:
Aus der Hölle durch das Fegefeuer ins Paradies!
VIII
Der Nachtregenbogen
JOSEPH MBOGE HATTE EINEN STUHL auf die schmale Veranda vor seinem Haus gestellt und sich mit einem Glas Whisky in der Hand der sinkenden Sonne gegenüber gesetzt. Er prostete der Feuerscheibe zu, die im Staubdunst des Abends über dem Horizont hing, und dachte,
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