Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein ist der Tod

Mein ist der Tod

Titel: Mein ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
Vom Netzwerk:
erneute Wiedergeburt der Bestie deutet.
    Aber was geschieht, wenn die beiden letzten Köpfe wieder mit ihren Körpern vereint werden, weil die Leute ja auf Vollständigkeit im Sarg Wert legen? Sie müssen dann sofort unter die Erde verbracht oder eingeäschert werden.
    Ich bleibe in Bereitschaft. Auch die Engel des Herrn schlafen nicht.

XIII

    Der Sturz

    FRANK ZÜLLICH RANNTE IMMER DENSELBEN WEG, auch wenn er die Route wechselte. Ob er den Mahrwald hinauf, am Ufer die Mühr entlang oder nördlich der Stadtgrenze über das Heergarter Moor lief: Jeder Lauf war für ihn einer gegen die Welt, gegen die Zeit, gegen das Urteil des Himmels, aus dem herab sein Vater ihn begutachtete.
    Wenn sein Körper dem Rhythmus der Schritte gehorchte wie ein selbsttätiges Schlagwerk, gab es keine Atemnot mehr und keinen Fersenschmerz, es gab nur noch den Weg, seinen verschwommenen Horizont und die über den Kopf fliegenden Baumkronen. Er vergaß die Trinkerin, die seine Mutter war, er vergaß die Aussichtslosigkeit seines Lebens und wurde, je länger er lief, um so mehr zu Hero Kles, die Welt vor seinen Füßen verwandelte sich in die Kulissen des Computerspiels, und wenn er tief genug in den Wald über der Mahr eingedrungen war und sich unbeobachtet wusste, nahm er die Schlagbewegungen des Helden auf, stellte sich mit einer eingebildeten Maschinenpistole in Positur, warf unsichtbare Granaten und zückte im nächsten Moment das imaginäre Gralsschwert, mit dem er seine schrecklichen Feinde, die hinter den Bäumen hervortraten, in Stücke schlug. Er wischte sich ihr Blut von der Stirn, senkte im Augenblick des Sieges seine Waffe und sah mit geschlossenen Augen das Leichenfeld, das er angerichtet hatte.
    Oft packte ihn in solchen Augenblicken eine angenehme Benommenheit, er setzte sich und war wenige Minuten später eingeschlafen. Es kam vor, dass er erst bei Einbruch der Nacht frierend erwachte und Mühe hatte, seine Furcht vor der Dunkelheit zu überwinden.
    Hatte er wieder nach Hause zurückgefunden, schloss er sich in seinen Schuppen ein, und es war ihm gleich, ob seine Mutter betrunken auf dem Küchensofa lag, ob sie vor dem Fernseher oder, was nicht oft vorkam, in ihrem Bett schlief. Er schloss die Tür ab, trank einen halben Liter Wasser, drehte sich einen Joint, zog die Vorhänge vor die Fenster und öffnete Live Porno Seiten im Internet, auf denen sich Frauen vor ihm prostituierten. Er verachtete sie dafür, und er verachtete sich, dass er sie ansah und sich vor ihnen befriedigte.
    Danach stieg er als Hero Kles wieder in sein Ego-Shooter-Spiel ein und kämpfte gegen die Weibsbestie Heka, in deren Burg er sich inzwischen zu den Verliesen vorgearbeitet hatte.
    Der Ablauf nach dem Joggen war längst ein Ritual geworden, und Frank Züllich rechnete schon lange nicht mehr mit irgendwelchen Überraschungen.
    Doch an diesem Freitagmorgen begegnete er sich selbst.
    Er sah den anderen am Ufer der Mahr unter die Brücke laufen, auf der die Bundesstraße den Fluss überquerte. Wie er selbst trug der andere lange schwarze Tights und eine schwarze Sweatjacke mit Kapuze. Über seine rechte Schulter ragte das Ende eines zylindrischen Köchers, der aus schwarzem Leder zu sein schien.
    Frank Züllich verlangsamte seine Schritte. Auch der andere lief aus und blieb stehen. Über ihnen rauschten Autos auf der Brücke vorüber, ihr Geräusch fing sich im Hall des Betonbogens.
    Die Männer standen sich, etwa vier Meter voneinander entfernt, wie eine Spiegelung gegenüber und schienen beide nicht zu wissen, warum sie stehen geblieben und nicht einfach aneinander vorbei gelaufen waren. Züllich gab sich zu erkennen und schob seine Kapuze nach hinten. Seine auffällige Tonsur wurde sichtbar. Der andere hob den rechten Arm über die Schulter, griff hinter sich und zog den Lederköcher nach vorn. Er hielt ihn schräg vor sich, und sein Gegenüber dachte daran, dass die Soldaten in seinem Shooterspiel ihre Gewehre so hielten, bevor er sie ins Fadenkreuz nahm und zu Blutfetzen zerschoss.
    Das Bild übertrug sich auf den Augenblick. Er sah die schwarze Gestalt des anderen plötzlich als feindlichen Krieger der Herrscherin Heka vor sich. Doch hier draußen fehlte ihm die Wunderwaffe des Hero Kles, die er in jedes Tötungsinstrument, das er sich wünschte, verwandeln konnte. Schlagartig fürchtete er sich vor seinem Gegenüber, und das Gefühl, bedroht zu sein, das er beim Computerspiel nie empfunden hatte, trieb ihn zur Flucht: Er drehte sich und rannte

Weitere Kostenlose Bücher