Mein ist der Tod
Fleischerhandwerk handeln. Möchte jemand eine Pause?
Rüdiger Törring stand sofort auf.
Ja, das wäre nicht schlecht. Sie möchten sicher rauchen, Frau Bossi, oder?
Yoro Mboge. Ihr erinnert euch doch an den Namen, ja?
Martin Paintner hatte für diese Frage seine Frau, seinen Vater und seinen Onkel zu einer Familienversammlung in den Salon seines Hauses bestellt. Durch die beiden hohen Sprossenfenster mit ihren Barockgiebeln flutete das Aprillicht den Raum.
Susi Paintner war erstaunlich folgsam aus ihren beiden Zimmern im ersten Stock, die sie sonst nur noch zu den Mahlzeiten verließ, in ihrem Hausmantel aus dunkelrotem Samt ins Erdgeschoss gekommen und hatte sich an den Nussbaumtisch gesetzt. Ihr gegenüber lehnte Helmut Paintner in seinem Stuhl, die Augen halb geschlossen. Er hatte sich widerwillig im Dachgeschoss von seiner Münzsammlung gelöst und war nach Susi eingetroffen. Sie ertrug seinen verwahrlosten Anblick und den leichten Uringeruch nicht, stand auf und nahm am Kopfende Platz. Am anderen Ende wartete Gernot Paintner darauf, dass sein Sohn erklärte, was so wichtig sein sollte, diese Familie, die keine mehr war, an einem Freitagvormittag alarmartig zusammenzutrommeln.
Natürlich erinnern wir uns, sagte er, sind wir wegen dem alten Kram hier? Gibt es nichts zu essen und zu trinken?
Martin Paintner lehnte mit dem Rücken an einer breiten Anrichte.
Nein, das ist nicht vorgesehen. Und was du alten Kram nennst, Vater, kann uns in den Abgrund reißen.
Er hatte für diesen Satz all seinen Mut zusammennehmen müssen. Martin Paintner war ein Mann, der zwischen seiner depressiven Mutter und seinem herrischen Vater keine Chance gehabt hatte, selbstständig zu werden. Er war auch mit Mitte fünfzig noch ein dicklicher Junge mit schütterem dunklen Haar, buschigen Brauen über graubraunen Augen, einer hängenden Unterlippe und einem vorsorglich arroganten Gesichtsausdruck, der unter der Trauer um Iris verschwunden war.
Seiner Frau und ihm war es nicht gelungen, die Trauer um ihre Tochter miteinander zu teilen. Seit Susi Paintner jedem Gespräch mit ihm aus dem Weg ging, fand er, dass sie seiner Mutter immer ähnlicher wurde.
Es geht nicht um den alten Kram, sagte er, der alte Kram ist neu geworden. Freyas Anzeige liegt bei der Staatsanwaltschaft, ich habe eine Vorladung als Zeuge, und es werden noch andere aus der Stadt geladen werden, bevor es zur Entscheidung über die Eröffnung eines Verfahrens kommt. Jedenfalls ist die Sache in wenigen Tagen in aller Munde. Und für uns bedeutet das –
Sein Vater fiel ihm ins Wort.
Was für ein Verfahren? Helmut und ich sind zu alt, wir erinnern uns an nichts, du weißt von nichts, Susi hat nichts davon mitbekommen, also was bitte soll passieren? Gar nichts passiert, und du solltest dir nicht in die Hosen machen, nur weil deine geisteskranke Tante Freya ihre Hirngespinste in die Welt setzt!
Martin Paintner schwieg. Auch von den übrigen kam kein Ton. Der Greis blickte vom einen zum andern und hatte das Gefühl, dass ihm niemand seine ungebrochene Zuversicht abnahm. Sie hatten sich schon aufgegeben, er war der Einzige, der standhielt.
Du glaubst das doch selbst nicht, sagte sein Bruder Helmut schließlich. Wir sollten schleunigst verkaufen. So lange wir noch Herren der Lage sind. Freya kriegt ihre Rache. Gönne ich ihr. Aber sie reißt uns alle in den Abgrund.
Darum geht es nicht, sagte Martin Paintner leise. Ich habe aus dem Hotel Korn erfahren, dass dort vor zwei Tagen eine junge Frau abgestiegen ist, aus London, und dass sie lange mit der Kommissarin vom Bundeskriminalamt gesprochen hat, die für die Zeit der Ermittlungen auch dort untergebracht ist. Diese junge Frau heißt Mboge. Aminata Mboge.
Die Pause zog sich zehn Minuten hin, Sybille Lingenfels brachte auf einem Tablett Plastikbecher mit Kaffee.
Michaela Bossi führte ihre Begleiterin zurück in den Besprechungsraum.
Ich will Ihnen jetzt Frau Mboge vorstellen, die ein klein wenig Deutsch verstehen kann.
Mboge?, fragte Törring.
Aminata konnte sehen, dass er über ihre Hautfarbe nachdachte, und musste lachen. Sie schüttelte den Kopf, ihre Locken pendelten ums Gesicht.
Bloß ganzes klein weniges Deutsch, sagte sie.
Wir können Englisch mit ihr sprechen, ergänzte Michaela Bossi. Frau Mboge ist aus London zu uns gekommen. Sie ist Journalistin, sie stammt aus Gambia. – Und sie ist die Enkelin unseres Mordopfers Yoro Mboge.
Die einzige Bewegung in der einsetzenden Stille führte Klantzammer aus,
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