Mein Ist Die Nacht
rechten Türholm auftrug, trat einen
Schritt zur Seite. Der gesamte Innenraum war voller Blutspritzer.
Der Täter hatte hier gewütet wie ein Wahnsinniger. Die
Frau lag gefesselt auf dem Sitz. Sie war unbekleidet und hatte
zweifelsohne Geschlechtsverkehr gehabt, bevor der Täter ihr
mit zahlreichen Bissen die Kehle zerfetzt hatte. Clay hatte ein
Massaker angerichtet, und Franka spürte eine Mischung aus
Ekel, Wut und Ohnmacht in sich aufsteigen. Der Mörder hatte
wieder zugeschlagen, und sie musste sich eingestehen, dass sie noch
keinerlei heiße Spur verfolgten. Der Verdacht, Klaus Baumann
könne hinter den schrecklichen Morden stecken, hatte sich
nicht bewahrheitet. Baumann war ebenfalls einem Mordanschlag zum
Opfer gefallen. Bislang gab es keinen Hinweis darauf, dass Clay
auch hinter dem Mord an dem Immobilienhai steckte.
»Ich habe mir
übrigens den Kofferraum angesehen«, bemerkte Bernd
Krüger. »Darin haben wir das Gepäck des Opfers
gefunden. Eine Reisetasche, mehr nicht. Das spricht dagegen, dass
sie mit einer Kollegin unterwegs war. Was aber interessant ist
…« Krüger umrundete den Wagen und bückte
sich in den kleinen Kofferraum des Coupes. Er zog ein Notebook
heraus, das er in eine transparente Plastiktüte stülpte.
»Der Rechner des Opfers. Vielleicht kann Brackwede von der IT
damit etwas
anfangen.«
»Ganz bestimmt
sogar«, freute sich Franka. Daraufhatte sie gehofft.
Erfahrungsgemäß gab der Rechner eines Opfers mehr
Informationen preis, als dies früher ein Tagebuch getan
hatte.
»Dann wollen wir
nur hoffen, dass es sich bei dem Laptop nicht nur um ein
Zweitgerät handelt«, bremste Micha ihren
Optimismus.
»Wir werden
sehen.« Franka betete, dass sie dem Serienmörder endlich
auf die Spur kamen.
»Der zieht eine
Blutspur quer durch die Stadt«, sprach Micha ihre Gedanken
aus. Langsam drehte sie sich zu ihm um.
»Er tötet
Baumann und greift sich ein Opfer am anderen Ende der Stadt. Das
macht er aus Berechnung, und ich bin sicher, dass auch diesmal ein
teuflisches System dahinter steckt. Unser Täter ist
hochintelligent, kein blöder Spinner, der sich an Frauen
vergreift, um seinen kranken Trieb an ihnen zu befriedigen, Franka.
Und das ist es, was ihn so gefährlich macht.«
»Du hättest
Fallanalytiker werden sollen«, murmelte Franka. Sie
fühlte sich in diesem Augenblick einfach nur machtlos. Es war,
als jagten sie ein Phantom.
63
6.05
Uhr
Mit dem Vorsatz,
wenigstens noch zwei, vielleicht sogar drei Stunden schlafen zu
können, waren sie, nachdem am Tatort alles Nötige
veranlasst worden war, zurück nach Barmen gefahren. Schweigend
hatten sie im Auto nebeneinander gesessen. Jeder hatte seinen
Gedanken nachgehangen. Als Micha den Dienstwagen in der
Tunnelstraße stoppte, zögerte Franka, auszusteigen.
»Was machst du jetzt?«
Er zuckte die
Schultern. »Ich fahr nach Hause und versuche, noch ein, zwei
Stunden Schlaf zu bekommen.« Dunkle Ringe lagen unter Michas
Augen, und sein Dreitagebart war zu einem schwarzen Schatten in
seinem markanten Gesicht geworden. Er wirkte völlig
übernächtigt, war aber zu stolz, sich die menschliche
Schwäche einzugestehen.
»Mach das
nicht.«
»Was?«
»Komm schon mit
hoch. Kannst das Sofa in der Stube haben.« Sie lächelte
und legte eine Hand auf sein Knie. Er zuckte zusammen, zog das Bein
aber nicht weg. Jetzt grinste er. »Wenn ich nicht so
müde wäre, würde ich mich nicht mit dem Trostpreis
zufrieden geben.« Micha zog die Handbremse an, schaltete den
Motor ab und löste den Sicherheitsgurt. »Und
außerdem heißt es Wohnzimmer, nicht Stube. Du bist
wieder in Wuppertal«, erinnerte er sie.
Franka grinste
gequält. »Manchmal bist du ein richtiges Arschloch,
Michael Stüttgen.«
Er folgte ihr in die
Wohnung. Nachdem Franka ihm eine Wolldecke angereicht hatte,
entledigte sich Micha seiner Schuhe und der Hose und machte es sich
auf der Couch im Wohnzimmer bequem. Während Franka noch kurz
im Bad verschwand, um sich die Zähne zu putzen, war er bereits
eingeschlafen. Als sie aus dem Bad kam, hörte sie sein
gleichmäßiges Schnarchen aus dem Wohnzimmer.
Lächelnd schaltete sie die kleine Stehlampe aus und begab sich
ins Schlafzimmer, wo sie eilig unter die Decke kroch und in den
nächsten fünf Minuten eingeschlafen war. Sie zollte ihren
Tribut für die Anstrengung der letzten Tage und
Nächte.
64
6.30
Uhr
Nachdenklich stand er
am Fenster und blickte hinaus in den Wintermorgen. Er hatte viel
erreicht in diesen
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