Mein Ist Die Nacht
letzten Stunden, doch er war nicht sicher, ob es
klug gewesen war, die Frau auf der Landstraße abzufangen.
Dennoch fühlte er sich zufrieden, denn er hatte ein weiteres
Opfer gefunden, dessen Fleisch er geschmeckt und dessen warmes Blut
er getrunken hatte. Ein diabolisches Grinsen legte sich auf sein
Gesicht, als er sich vom Fenster abwandte. Im Osten graute bereits
der neue Tag, so machte er, dass er ins Bett kam. Eine anstrengende
Nacht lag hinter ihm, und langsam spürte er, wie die
Müdigkeit an seinen Gliedern empor kroch.
Die Wohnung, in der er
sich befand, war nicht mehr als ein Unterschlupf. In einer Ecke
stapelten sich Computer, in einem alten Regal befand sich seine
Fotoausrüstung. Eigentlich war die Wohnung nichts als ein
Lagerraum, ein Ort, um seine persönlichen Dinge zu verstecken.
Hier würden sie ihn niemals finden, so viel stand fest. Er
überlegte, wie er in den nächsten Tagen vorgehen sollte.
Rebecca ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Lange würde es
nicht mehr dauern, dann würde er sie sich nehmen und ihr den
Eintritt in ein nächtliches Leben ermöglichen. Er
würde sie erlösen, denn sie hatte ihm bereits mehrfach
gestanden, dass sie nicht mehr glücklich war im Hier und
Jetzt.
Lange durfte er nicht
mehr warten. Die Zeit war gekommen, und bald schon würde
Rebecca ihm gehören. Er legte sich einen Plan zurecht,
während er sich auf das einfache Sofa legte und an die
Zimmerdecke starrte. Als er sich auf dem Sofa ausstreckte,
beobachtete er das Lichterspiel der Straßenlaternen und der
vorbeifahrenden Autos an der Zimmerdecke, die sich durch den kalten
Wintermorgen kämpften. Langsam setzte die Rush Hour ein, und
er musste lachen. Wie einfach doch die Probleme der Sterblichen
waren, dachte er in einem Anflug von Spott. Sie mussten
pünktlich im Büro und in der Firma sein. Als gäbe es
nichts Wichtigeres. Während draußen der neue Tag
erwachte, dämmerte er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Schon in der nächsten Nacht würde er sein Werk
fortsetzen.
65
9.15
Uhr
»Wo bleibt ihr
denn?« Bever blickte gehetzt auf, als Franka und Micha sein
Büro betraten. Die anderen hatten sich bereits am langen Tisch
versammelt und mit dem Austausch begonnen.
»Entschuldige,
dass wir uns zweieinhalb Stunden Schlaf gegönnt haben«,
blaffte Micha seinen Vorgesetzten unwirsch an, der sofort
beschwichtigend die Hände hob.
»Die Nacht war
anstrengend, und unsere Akkus waren leer«, schob Franka
entschuldigend nach, während sie sich setzte. Micha hatte am
Kopf des Konferenztisches neben Bever Platz genommen. Auch
Staatsanwalt Adler war anwesend.
»War nicht so
gemeint, nur wäre es schön gewesen, wenn ihr angerufen
hättet, dann hätte ich das Meeting verschoben«,
murmelte Bever ein wenig kleinlaut.
»Wenn ich
schlafe, telefoniere ich üblicherweise nicht«,
entgegnete Micha bissig und schlug seine Mappe auf. Er nickte in
die Runde. »Wie ihr sicher schon gehört habt, liegt eine
ereignisreiche Nacht hinter uns. Zum einen wurde Baumann, den wir
zur Fahndung ausgerufen hatten, tot in einem seiner Objekte
gefunden. Damit scheidet er als Mörder von Mandy Klimmek aus,
denn zum anderen hat sich unser Täter ein weiteres weibliches
Opfer gesucht. Die Vorgehensweise gleicht der beim ersten Opfer,
insofern können wir davon ausgehen, dass es sich um ein und
den selben Täter handelt.« Er blickte in die Runde, und
als keiner der anwesenden Kollegen Einwände hatte, fuhr er
fort.
»Es könnte
ein Trittbrettfahrer sein, der von dem ersten Mord durch die Medien
erfahren hat«, gab Birgit Hanser zu bedenken und
schürzte die Lippen.
»Die
Pressestelle hat gründlich darauf geachtet, keine
Detailinformationen herauszugeben.« Ihr Partner, Henrik
Mellinghaus, schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht
vorstellen, dass der Mörder, wenn wir von einem
Trittbrettfahrer ausgehen, wusste, dass die Frau mit gezielten
Bissen in die Kehle getötet wurde, nachdem er sich an ihr
vergangen hat.«
»Interessant ist
doch seine Vorgehensweise«, bemerkte Franka.
»Während er den Anschlag auf sein erstes Opfer von
langer Hand geplant hatte, scheint es sich hier entweder um eine
spontane Tat zu handeln, oder er kannte sein Opfer, und sie ist
ahnungslos mit ihm in den Wald gefahren.«
»Wobei
ahnungslos maßlos untertrieben ist«, grinste Micha.
»Wenn eine Frau nachts mit einem Mann auf einen einsamen
Waldparkplatz fährt, dann ist sie sich wohl darüber im
Klaren, was dort geschehen wird.«
»Es sei denn, er
hat
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