Mein Ist Die Nacht
Und wenn Ihre Freundin morgen immer noch nicht aufgetaucht
ist, wenden Sie sich an Ihre nächste
Polizeidienststelle.«
»Danke.«
Tom drückte kopfschüttelnd den roten Knopf und feuerte
das Handy in den Fußraum neben dem Beifahrersitz, wo es in
seine Einzelteile zerfiel.
*
Er hatte es
geahnt.
Dieser Typ war
zurückgekommen, um seine Kleine abzuholen.
Zu spät, denn das
Gebäude hatte er längst schon verlassen. Alle Spuren
waren beseitigt. Er würde es ihnen nicht allzu leicht machen.
Ein süffisantes Grinsen huschte um seine Mundwinkel. Es hatte
ihm Spaß bereitet, dem Trottel dabei zuzuschauen, wie er das
Gebäude durch die beschlagene Windschutzscheibe beobachtet
hatte, wie er ausgestiegen war und scheinbar im Hauseingang nach
einem Klingelschild gesucht, es aber nicht gefunden hatte und
frustriert wieder in seine Karre eingestiegen war. Natürlich
wusste er nicht, hinter welcher Tür seine Kleine verschwunden
war. Er war machtlos. Sicher würde dieses Würstchen
gleich die Bullen anrufen.
Doch er wusste, wie
das System dort funktionierte. Sie würden ihm nicht helfen,
würden ihm empfehlen, zu warten. Sie würde schon
zurückkommen, würde man ihm sagen. Da könne er noch
so rumheulen - in der Notrufzentrale hockte ein Beamter, der sich
nicht die Bohne für einen eifersüchtigen Kerl
interessierte, dessen Kleine sich für Sexfotos auszog, ob ihm
das nun passte oder nicht. Jetzt sah er, wie im Opel ein
geisterhaftes grünes Glühen durch das Wageninnere
huschte. Er hatte also tatsächlich das Handy in der
Hand.
Das Gespräch
dauerte ein, zwei Minuten, dann sah er wieder das geisterhafte
Leuchten des Handys durch den Wagen schwirren. Vermutlich hatte der
Kerl das Teil wütend auf den Beifahrersitz
geworfen.
Er grinste
triumphierend. Er hatte es gewusst.
Sie würden ihm
nicht helfen. Und alleine würde er nie erfahren, was mit
seiner Kleinen passiert war.
Die Frage war nur, als
wie hartnäckig sich der Kerl entpuppte. Er würde die Spur
seines Mädchens sicher zurückverfolgen. Und sobald er
einen Anhaltspunkt hatte, was mit Mandy passiert war, würde er
mit den Bullen zurückkommen.
Sie würden ihn
jagen, so wie damals. Und sie würden ihn finden,
über kurz oder lang, da machte er sich nichts vor. Er wollte
nicht zurück in den Knast. Da würde er krepieren. Also
gab es nur einen Weg, die wenigen Spuren, die den Typen zu ihm
führen konnten, zu verwischen: Der Typ musste weg. Er musste
für immer zum Schweigen gebracht werden. Eine andere Wahl gab
es nicht.
Jetzt wurde der Motor
des dunkelroten Astra gestartet. Der Wagen fuhr an. Nachdem der
Opel um die nächste Straßenecke verschwunden war,
startete auch er den Motor. Der Turbodiesel erwachte sofort zum
Leben. Die ersten Meter fuhr er ohne Licht, dann erst schaltete er
die Scheinwerfer ein. Es kostete ihn
nicht viel Mühe, die Verfolgung aufzunehmen. Sein Wagen war
schnell, und es war ihm ein leichtes, mit dem Opel mitzuhalten. Sie
überquerten eine alte Wupperbrücke und bogen auf die
Bundesstraße 7 ein. Mandys Freund steuerte also nach Osten.
Wie eine Insel aus Licht schälte sich die futuristisch
anmutende Schwebebahnstation Kluse aus der Dunkelheit. Links
daneben schien sich das dem Untergang geweihte Schauspielhaus an
das hell erleuchtete Großkino zu ducken. Sie passierten den
nostalgisch anmutenden Bau, in dem es bis vor Kurzem eine Disco
gegeben hatte, die er selber oft besucht hatte. In seinen
Nächten.
Diese verdammte Stadt
war pleite. Sie wurde vom Land regiert und hatte ihre Macht
über sich selbst schon vor langer Zeit verloren. Ihm kam der
Songtext eines Wuppertaler Rappers in den Sinn, der seinem
Ärger über die inkompetenten Politiker im Rathaus vor
einiger Zeit mit einem Song Luft gemacht hatte. Zwei Milliarden
Euro Schulden und 45.000 Arbeitslose, das war also aus der einst
reichen Industriestadt geworden, die früher so gut vom Garn
und Textil gelebt hatte. Eine Stadt zum Abhauen, dachte er
grimmig.
Wuppertal stirbt,
grübelte er. Und nicht nur Wuppertal.
Ja, Unrecht hatte der
Rapper nicht, und er versuchte sich an den Namen des Sängers
zu erinnern, der sich eigentlich immer mit seiner Heimatstadt
verbunden gefühlt hatte. Meelman, richtig. Jahrelang hatte
Meelman Tracks geschrieben, in denen er sich zu Wuppertal bekannt
hatte. Und nun hatte sich das Blatt gewendet.
Während er sich
im Fahrersitz zurücklehnte, lässig mit einer Hand fuhr,
nahm er sich vor, im Internet nach anderen Titeln des Sängers
zu suchen. Bestimmt
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