Mein Ist Die Nacht
Straßenlaternen tauchten den
menschenleeren Platz in ein unwirkliches, kaltes Licht. In den
Fenstern der gegenüberliegenden Häuser brannte kein Licht
mehr. Sogar die Restaurants hatten geschlossen, weil bei diesem
Wetter die Gäste ausblieben. Die Nachbarschaft schlief tief
und fest, und er fühlte sich, als wäre er auf dem ganzen
Planeten der letzte lebende Mensch.
Belter wandte sich vom
Fenster ab und starrte auf sein Handy, das auf dem gläsernen
Wohnzimmertisch lag. Er hatte es mit Mühe wieder
zusammengesetzt, aber das Display hatte nach seiner wutentbrannten
Schmetteraktion eine tiefe Macke.
Vielleicht wäre
er besser zuerst in ihre Wohnung gefahren, bevor er die Bullen
darauf ansetzte, überlegte er. Möglicherweise war Mandy
wirklich sauer auf ihn und hatte es vorgezogen, die Nacht allein
und in ihren eigenen vier Wänden zu verbringen. Sie neigte
manchmal zu solchen Kurzschlussreaktionen, die sie aber nach
wenigen Stunden schon wieder bitterlich bereute.
Belter überlegte,
ob er noch einmal zurück nach Wuppertal fahren sollte. Mandy
hatte Wert darauf gelegt, ihre eigene kleine Wohnung zu behalten.
Sie wollte einen Ort, an den sie sich zurückziehen konnte,
wenn ihr alles zuviel wurde. Das Dumme daran war, dass er keinen
Schlüssel zu ihrer Wohnung besaß. Natürlich hatte
er versucht, sie dort anzurufen, jedoch leider
vergeblich.
Vielleicht war sie
nach dem seltsamen Shooting auch zu einer ihrer Freundinnen
gefahren. Er überlegte, wer für eine solche Aktion in
Frage kommen könnte. Eigentlich nur Lisa. Die beiden hielten
zusammen wie Pech und Schwefel.
Nach einem Blick auf
die Armbanduhr war er sich nicht sicher, ob es eine so gute Idee
war, Lisa Krämer jetzt noch anzurufen. Andererseits
…
Thomas
zögerte.
Aber er hatte keine
Wahl.
Entschlossen griff er
zum Telefon und suchte die Nummer von Lisa Krämer, Mandys
bester Freundin. Sie waren seit der gemeinsamen Kindheit ein Herz und eine Seele.
Sie tauschten Geheimnisse aus, von denen er nichts ahnte, was ihn
manchmal wurmte. Aber, obwohl er sich das kaum eingestehen wollte:
Es war besser, gewisse Dinge nicht zu wissen. Lisa machte auch
keinen Hehl daraus, dass sie ihn nicht mochte. Vermutlich war sie
nur neidisch, weil er in den letzten Monaten mehr Zeit mit Mandy
verbracht hatte als sie, die beste Freundin. Er hatte es geschafft:
Er hatte sie sich so lange schlecht gedacht, dass es jetzt nur noch
schief gehen konnte.
Es tutete.
Irgendwann, nach dem
achten oder neunten Klingeln, meldete sich eine verschlafene
Frauenstimme. »Hallo?«
Als er schwieg, weil
er gerade noch dabei gewesen war, sich die richtigen Worte
zurechtzulegen, rief Lisa am anderen Ende der Leitung: »Soll
das ein Scherz sein? Hallo, wer ist denn da?«
»Ich bin's,
Tom.« Hatte sie denn anhand der Nummer nicht gesehen, dass er
es war, der sie aus dem Bett geklingelt hatte?
»Weißt du,
wie spät es ist?« Da fiel ihm ein, dass sie um kurz nach
vier raus musste. Für sie war zehn Uhr abends verdammt
spät. Sie gähnte ungeniert in den Hörer.
»Mandy ist
verschwunden.«
»Bitte? Was
heißt denn das? Hattet ihr Streit?« Sofort war sie
wach.
Vorwurf und Spott
lagen in dieser Stimme und ein gewisser Ich wusste, dass das mit euch
nicht gut geht- Unterton. Belter ging nicht darauf
ein und erzählte ihr, was in der Nacht geschehen
war.
»Und jetzt
denkst du, dass dieser Fotograf ihr etwas angetan haben
könnte?«, schloss sie aus seinem Bericht. Sie klang
völlig distanziert. Sie misstraute ihm, das fühlte er -
nein, er wusste es.
»Ich habe Angst
um Mandy. Manchmal weiß ich nicht, zu welchen Typen sie geht,
um sich fotografieren zu lassen. Du weißt, was ich von ihren
Gelegenheitsjobs als Model halte, und manchmal ist es mir einfach
unheimlich, sie nachts zu irgendwelchen Typen zu fahren. Wer
weiß — vielleicht ist ja irgendwann ein Perverser
darunter.«
»Deine Phantasie
geht mit dir durch«, erwiderte Lisa spöttisch und
kicherte humorlos.
Er kam sich vor wie
ein Idiot. Was tat er hier eigentlich? Belter versuchte, seine Gefühle zu
verdrängen.
»Du weißt
also nicht, wo sie sein könnte?« Er hatte keine Lust,
mit Mandys bester Freundin zu diskutieren.
»Nein«,
kam es schnippisch zurück.
»Bitte, sei
ehrlich: Ist sie bei dir, Lisa?«
»Du spinnst.
Hast du wieder getrunken, Tom? Dann schlaf deinen Rausch aus.
Morgen ist sie wieder bei dir, deine Mandy, jede Wette. Mach dich
nicht verrückt. Gute Nacht.«
Ohne seine Antwort
abzuwarten, hatte sie
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