Mein Ist Die Nacht
klingt
lächerlich für einen Mann, der zwei Morde begangen
hat.«
»Franka, bitte
verrenn dich da nicht in einer Sache. Noch ist nichts bewiesen. Und
nur aufgrund seiner unsympathischen Art können wir Baumann
nicht wegen Doppelmordes verhaften - leider.«
Die Kommissarin nickte
und zwang sich, ruhig zu bleiben. Sie vermisste ihr nüchternes
Denken, seitdem sie Baumann begegnet waren. Da war etwas in seinem
Blick gewesen, das ihr sagte, dass ihm ein Menschenleben nichts
bedeutete. Und dass er nicht zögern würde, einen
Menschen, der ihm lästig wurde, aus dem Weg zu räumen.
So, wie er ein Haus, das ihm nichts mehr bedeutete, einfach in
Brand steckte. Oder wenigstens in Brand stecken ließ, denn
vermutlich hatte er für die Drecksarbeit seine
Lakaien.
»Und was machen
wir jetzt?«
Franka blickte ihren
Kollegen nachdenklich an. »Auf zu Karla Baumann. Zeit
für ein Gespräch von Frau zu Frau.«
Micha verkniff sich
einen Kommentar, legte aber den Gang ein und fuhr zum Anwesen der
Familie Baumann. Manchmal war es besser, sich seinem Schicksal zu
fügen. Das galt auch für den Leiter einer
Mordkommission.
43
14.00
Uhr
Niemand beobachtete
ihn, als er die Mietwohnung aufschloss und betrat. Im dunklen
Korridor roch es muffig. Vielleicht sollte er mal lüften,
dachte er, doch das hatte Zeit. Er fieberte der Nacht entgegen.
Jetzt ging er in das kleine Wohnzimmer. Neben der Couch stand der
Computertisch. Er zögerte. Spürte, wie die innere Unruhe
wuchs. Lenkte sich ab, indem er die blickdichten Vorhänge, die
bis zum Boden reichten, einen Spalt breit auseinander zog. Es war
ein grauer Tag, trostlos und trist. Nebel hing über der Stadt,
und es war nicht richtig hell geworden heute. Die Autos fuhren mit
Licht, an den Straßenrändern hatte sich ein
unansehnlicher Schneematsch gebildet. Er fröstelte und zog die
Vorhänge wieder zu. Starrte wieder zum Rechner. Dann
ließ er sich auf den Stuhl vor dem Computertisch sinken und
schaltete den Computer ein. Wie gebannt starrte er auf den Monitor
und sah zu, wie das System bootete. Als der Desktop sichtbar war,
ging er ins Internet.
Seine Finger zitterten
leicht, Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er sehnte
sich nach einem Opfer, hielt es nicht mehr lange aus. Doch diesmal
hatte er nicht viel Zeit, um seine Tat vorzubereiten. Er sehnte
sich nach warmem Blut, nach pochenden Adern und frischem,
pulsierendem Fleisch. Der Gedanke an den Moment, in dem er seinem
inneren Zwang zum ersten Mal gefolgt war, ging ihm nicht mehr aus
dem Kopf. Insgeheim hatte er gehofft, diesen Druck dann endlich los
zu sein, doch die Sehnsucht nach einer Wiederholung wuchs seitdem
immer mehr.
Er hatte eine halbe
Stunde Zeit. Nachdem er sich in seinen Chatraum eingeloggt hatte,
durchsuchte er die Liste der Leute, die online waren. Sein Gesicht
wurde starr, denn hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte. Sie
war da. Er hatte sie längst als nächstes Opfer
auserkoren. Es gab kein Zurück mehr für sie, da war er
sicher. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, wann die Falle
zuschnappte. Er war reif für ein neues Opfer. Je schneller,
desto besser. Er konnte es kaum erwarten.
44
15.05
Uhr
»Entschuldige,
ich weiß, ich bin zu spät.« Rebecca wirkte
gehetzt, als sie in den Laden stürmte. Ihre Wangen waren rot
von der draußen herrschenden Kälte, und ihr Atem ging
rasselnd. »Ich hatte ein Problem, und mein Mann war nicht da,
als …« Der Duft von Seife und Waschmitteln hing schwer
in der Luft, und sekundenlang wurde sie von dem gleißenden
Neonlicht der Deckenbeleuchtung geblendet.
»Schon gut,
schon gut, krieg dich wieder ein.« Die untersetzte
Endfünfzigerin, die mit verschränkten Armen tatenlos
hinter der Kasse des kleinen Drogeriemarktes hockte, winkte mit
einem mütterlichen Lächeln auf den Lippen ab. »Auf
mich wartet doch keiner zuhause.« Sie öffnete die
Tür des Kassenstandes und schälte sich schwerfällig
aus dem Stuhl. Im Laden herrschte so gut wie kein Betrieb, und
Gisela hatte Frühschicht geschoben. Sie wechselte sich mit
Rebecca ab, arbeitete auf Vierhundert-Euro-Basis. Der Leiter der
Drogeriemarktkette setzte in letzter Zeit vermehrt auf die so
genannten Minijobs, da er so geschickt um die Abgabe der
Sozialleistungen herumkam. Rebecca war froh, als Vollzeitkraft
bezahlt zu werden, denn damit hatte sie das Los gezogen, zumindest
gesetzlich versichert zu
sein.
»Bist du
alleine?« Rebecca blickte durch die Gänge des Marktes.
Im hinteren
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