Mein ist die Stunde der Nacht
natürlich, was ich aber an den Dienstagabenden möglichst vermieden habe. Aber ein paar Mal musste ich einspringen, weil jemand krank war, und dann hat meine Mutter die Folge immer für mich aufgenommen.«
»Ja, wenn das so ist, glaube ich auch, dass Sie Lauras Stimme wiedererkennen. Amy, könnten Sie mir noch einmal beschreiben, was Sie für einen Eindruck von Laura hatten bei diesem Anruf?«
»Ich kann Ihnen nur sagen, dass sie komisch klang, Dr. Sheridan. Ich meine, auf eine komische Art anders als sonst. Unter uns – zuerst hatte ich den Eindruck, dass sie vielleicht einen Kater hat, weil ich weiß, dass sie vor ein paar Jahren ein Alkoholproblem hatte. Ich hab das in People gelesen.
Aber inzwischen bin ich überzeugt, dass Jake Recht hat. Miss Wilcox klang nicht so, als ob sie zu viel getrunken hätte. Sie klang nervös – sehr nervös.« Amy senkte ihre Stimme, bis sie wieder fast wie ein Flüstern klang. »Es war so: Als ich am Sonntagabend nach diesem Anruf von Miss Wilcox nach Hause kam, habe ich zu meiner Mutter gesagt, dass sie mich an die Art erinnert hat, wie ich selbst geredet habe, wenn unsere Sprechlehrerin an der Highschool mich aufgefordert hat, lauter zu sprechen. Ich hatte solche Angst vor ihr, dass meine Stimme immer zu zittern anfing, weil ich krampfhaft versucht hab, nicht anzufangen zu weinen. Besser kann ich nicht beschreiben, wie Miss Wilcox’ Stimme auf mich gewirkt hat.«
»Ich verstehe.« Jean, hilf mir! Bitte, Jean, hilf mir! Ich hatte Recht, dachte Jean. Es hat nichts mit einem Werbegag zu tun.
Amy lächelte triumphierend angesichts ihrer treffenden Beschreibung, setzte jedoch sofort wieder eine ernste Miene auf. »Dr. Sheridan, ich möchte mich noch entschuldigen, dass Ihr Fax gestern zwischen die Post von Mr Cullen geraten ist. Wir legen großen Wert darauf, dass die eintreffenden Faxnachrichten gleich an unsere Gäste ausgehändigt werden. Ich werde das auch Dr. Fleischman sagen, wenn ich ihn sehe.«
»Dr. Fleischman?«, fragte Jean, deren Neugier geweckt war. »Gibt es einen besonderen Grund, weshalb Sie ihm das sagen wollen?«
»Äh, eigentlich schon. Als er gestern Nachmittag von seinem Spaziergang zurückgekommen ist, blieb er an der Theke stehen und rief in Ihrem Zimmer an. Ich wusste, dass Sie im Kaffeeraum waren, und habe ihm gesagt, er würde Sie dort finden. Dann hat er gefragt, ob Faxe für Sie eingetroffen sind, und als ich das verneinte, schien er überrascht zu sein. Er schien fest damit gerechnet zu haben, dass Sie eines erhalten würden.«
»Ich verstehe. Danke, Amy.« Jean versuchte zu verbergen, wie sehr sie diese Information getroffen hatte. Warum sollte Mark so etwas fragen? Sie vergaß, dass sie sich eigentlich einen Becher Kaffee holen wollte, und lief wie betäubt durch die Halle und zum Eingang hinaus.
Draußen war es sogar noch kälter, als sie erwartet hatte, aber die Sonne schien, und es war windstill, daher machte sie sich keine Gedanken. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf und begann, sich vom Hotelgelände zu entfernen, ohne ein bestimmtes Ziel anzupeilen. Ihre Gedanken drehten sich plötzlich nur noch um eine Möglichkeit, die sie nicht akzeptieren wollte. War Mark am Ende der Unbekannte, der die Faxe geschickt hatte? Hatte er ihr Lilys Haarbürste geschickt? Mark, der so ein großer Trost gewesen war, als sie ihm ihre Ängste offenbart hatte, der seine Hand auf ihre gelegt und ihr das Gefühl gegeben hatte, er wolle ihre Nöte mit ihr teilen?
Mark wusste, dass ich mit Reed zusammen war, dachte Jean. Er hat mir selbst erzählt, er habe uns gesehen, als er in West Point joggen war. Hat er irgendwie von Lilys Existenz erfahren? Wenn er nicht der Absender dieser Faxe ist, warum könnte es ihn dann gewundert haben, dass ich gestern Nachmittag noch keine neue Nachricht erhalten hatte? Steckt er hinter dieser ganzen Geschichte? Und wenn ja, würde er meinem Kind etwas antun?
Ich will das nicht glauben, dachte sie entsetzt. Ich kann es nicht glauben! Aber warum hat er die Angestellte gefragt, ob ich ein Fax erhalten habe? Warum hat er nicht mich gefragt?
Nicht darauf achtend, wohin sie ging, lief Jean durch die Straßen, die ihr als Kind so vertraut gewesen waren. Sie ging am Rathaus vorbei, ohne es zu sehen, die Angola Road entlang bis zur Ausfahrt vom Highway, dann wieder zurück und betrat schließlich eine Stunde später eine Kombination von Feinkostgeschäft und Kaffeestube am unteren Ende der
Mountain Road. Niedergeschlagen setzte sie sich an
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