Mein ist die Stunde der Nacht
vergangenen Monat, dann die Faxe mit den Drohungen, die Rose auf Reeds Grab – bei jedem dieser Anlässe war sie vor Angst und Sorge fast zerbrochen.
Ich hätte das letzte Fax gestern Nachmittag erhalten sollen, dachte Jean, während sie Mark über den Tisch hinweg ansah. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich gegenseitig musterten und in einem anderen Licht sahen. Ich habe gedacht, ich könnte dir vertrauen, Mark, dachte sie. Gestern warst du so einfühlsam, so voller Verständnis, als ich dir von Lily erzählt habe. Hast du mir das nur vorgespielt?
Genau wie sie trug er einen Jogginganzug. Seiner war dunkelgrün, wodurch seine braunen Augen eher hell erschienen. Sie blickten bekümmert drein. »Jean, ich bin Psychotherapeut«, sagte er. »Ich versuche, Gefühle und Regungen zu verstehen, das ist mein Job. Du hast weiß Gott schon genug durchgemacht, als dass ich noch etwas dazu beitragen müsste. Offen gesagt, ich hatte gehofft, du würdest wieder etwas von dem Unbekannten hören, der dir die Nachrichten geschickt hat.«
»Warum?«
»Weil das ein Zeichen dafür gewesen wäre, dass er oder sie mit dir in Kontakt bleiben will. Inzwischen hast du eine Nachricht von Laura erhalten und bist beruhigt, weil du weißt, dass sie Lily nichts zuleide tun würde. Aber das Wichtigste war doch, dass sie überhaupt mit dir kommuniziert hat. Das war der Grund, weshalb ich gestern gefragt habe. Und ich war tatsächlich beunruhigt, als die Angestellte mir gesagt hat, es wäre nichts gekommen. Ich habe mir Sorgen um Lily gemacht.«
Er sah sie an, und sein ernster Ausdruck verwandelte sich in maßloses Erstaunen. »Jean, hast du etwa geglaubt, ich hätte dir diese Drohbriefe geschickt? Glaubst du, ich hätte gewusst, dass du die letzte Nachricht eigentlich früher hättest erhalten müssen? Hast du das wirklich geglaubt?«
Ihre Antwort war Schweigen.
Kann ich ihm vertrauen? Ich weiß es nicht, dachte Jean.
Der Ober trat neben sie. »Nur Kaffee«, sagte Jean.
»Ich habe noch im Ohr, dass du am Telefon gesagt hast, du hättest heute noch nichts gegessen«, sagte Mark. »Damals in Stonecroft mochtest du gegrillte Sandwiches mit Käse und Tomaten. Ist das immer noch so?«
Jean nickte.
»Zwei gegrillte Sandwiches mit Käse und Tomaten und zwei Tassen Kaffee«, bestellte Mark. Er wartete, bis sich der Ober entfernt hatte, bevor er weitersprach. »Du hast immer
noch nichts gesagt, Jeannie. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, dass du mir glaubst oder dass du mir nicht glaubst oder dass du dir nicht sicher bist. Ich gebe zu, dass ich das verdammt enttäuschend finde, aber auch verständlich. Sag mir nur eines: Bist du immer noch sicher, dass Laura die Nachrichten geschickt hat und dass Lily in Sicherheit ist?«
Ich werde ihm nicht von Craig Michaelsons Anruf erzählen, dachte Jean. Ich darf einfach niemandem trauen. »Ich bin einigermaßen sicher, dass Lily in Sicherheit ist«, antwortete sie vorsichtig.
Mark bemerkte sehr wohl, dass sie ausweichend antwortete. »Arme Jean«, sagte er. »Du weißt nicht mehr, wem du noch trauen kannst, nicht? Ich kann es dir nicht übel nehmen. Aber was wirst du jetzt tun? Einfach nur warten, bis Laura wieder auftaucht?«
»Zumindest in den nächsten Tagen«, sagte Jean, darauf bedacht, so vage wie möglich zu bleiben. »Und was ist mit dir?«
»Ich bleibe noch bis Freitagmorgen, dann muss ich zurück. Ich habe Patienten, für die ich da sein muss. Zum Glück gibt es noch einige Sendungen, die schon aufgezeichnet sind, aber die Arbeit an den neuen kann ich jetzt nicht mehr aufschieben. Ab Freitag muss ich sowieso mein Zimmer räumen; es wurde von jemandem reserviert, der an dieser Glühbirnen-Konferenz, oder was es auch ist, teilnimmt.«
»Die hundert besten Vertreter kriegen eine Auszeichnung«, erklärte Jean.
»Noch mehr Auszeichnungen«, sagte Mark. »Ich kann nur hoffen, dass alle hundert wieder heil nach Hause kommen. Ich nehme an, du hast dich von Direktor Downes auch dazu überreden lassen, heute Abend zum Cocktail zu ihm zu kommen, damit ein paar Fotos gemacht werden können.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Jean.
»Wahrscheinlich hat er dir eine Nachricht auf deinem Telefon hinterlassen. Wenigstens wird es nicht allzu lange dauern.
Downes hat mir gesagt, er wollte zuerst zum Essen einladen, aber Carter und Gordon seien schon anderweitig verabredet gewesen. Ich auch, übrigens. Mein Vater will noch einmal mit mir zu Abend essen.«
»Dann nehme ich an, dass dein Vater dir auf die
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