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Mein ist die Stunde der Nacht

Mein ist die Stunde der Nacht

Titel: Mein ist die Stunde der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Fragen geantwortet hat, die du ihm stellen wolltest«, sagte Jean.
    »Ja. Jeannie, du kennst sowieso die Hälfte der Geschichte. Ich möchte, dass du auch den Rest erfährst. Mein Bruder Dennis ist einen Monat nach seinem Abschluss in Stonecroft gestorben. Er sollte im Herbst in Yale anfangen.«
    »Ich weiß über den Unfall Bescheid«, sagte Jean.
    »Du weißt etwas darüber«, korrigierte Mark. »Ich hatte gerade die achte Klasse an der St. Thomas hinter mir und sollte im September in Stonecroft anfangen. Meine Eltern haben Dennis zum Abschluss ein Kabrio geschenkt. Du hast ihn wahrscheinlich nicht gekannt, aber er war wirklich auf allen Gebieten überragend. Er war der Beste in seiner Klasse, der Kapitän der Baseballmannschaft, der Vorsitzende des Schülerrats, er sah toll aus, war witzig und ein wirklich netter Typ. Nach vier Fehlgeburten war es meiner Mutter gelungen, ein wahres Goldkind in die Welt zu setzen.«
    »Und es war schwierig, sich mit diesem Goldkind zu messen«, sagte Jean.
    »Ich weiß, dass die Leute das denken, aber in Wirklichkeit hatten wir ein tolles Verhältnis zueinander. Er war mein großer Bruder. Ich habe ihn verehrt.«
    Jean schien es, als spräche Mark mehr mit sich selbst als mit ihr. »Er hat mit mir Tennis gespielt. Er hat mir das Golfspielen beigebracht. Er hat mich in seinem Kabrio mitgenommen, und dann hat er mir, weil ich ständig gebettelt habe, auch das Fahren beigebracht.«
    »Aber du warst doch höchstens dreizehn oder vierzehn«, sagte Jean.
    »Ich war dreizehn. Ich bin natürlich nie auf der Straße gefahren, und er saß auch immer neben mir. Das Grundstück
um unser Haus ist ziemlich groß. An dem Tag, an dem der Unfall passierte, hatte ich Dennis schon den ganzen Tag angebettelt, mich fahren zu lassen. Schließlich hat er mir am Nachmittag die Schlüssel in die Hand gedrückt und gesagt: ›Na gut, meinetwegen, setz dich schon mal ins Auto. Ich komme gleich nach.‹
    Ich saß da, wartete auf ihn, zählte die Minuten, bis er endlich käme und ich der tolle Kerl sein würde, der sein Kabrio fahren durfte. Dann tauchten plötzlich ein paar von seinen Freunden auf, und Dennis sagte, er wolle Basketball mit ihnen spielen. ›Ich verspreche dir, dass du in einer Stunde oder so fahren darfst‹, sagte er. Dann rief er: ›Stell den Motor ab und zieh die Handbremse an.‹
    Ich war enttäuscht und zornig. Wutschnaubend bin ich ins Haus gerannt. Meine Mutter stand in der Küche. Ich habe zu ihr gesagt, ich würde mich freuen, wenn Dennis’ Auto den Hügel hinunterrollen und gegen den Zaun krachen würde. Vierzig Minuten später ist es tatsächlich den Hügel hinuntergerollt. Der Basketballkorb stand ganz unten an der Auffahrt. Die anderen Jungen konnten noch ausweichen. Dennis hat es nicht mehr geschafft.«
    »Mark, du bist Psychologe. Du musst doch wissen, dass du keine Schuld daran hast.«
    Der Ober kam mit den Sandwiches und dem Kaffee. Mark nahm einen Bissen von seinem Sandwich und trank einen Schluck Kaffee. Jean sah, dass er mit seinen Gefühlen kämpfte. »Intellektuell gesehen: ja. Aber sowohl meine Mutter als auch mein Vater waren danach anders zu mir. In den Augen meiner Mutter war Dennis eine Art Christkind gewesen. Ich kann das verstehen. Er hatte alles. Er war so begabt. Ich habe mit angehört, dass sie zu meinem Vater sagte, sie sei sicher, dass ich die Handbremse mit Absicht nicht angezogen hätte. Ich hätte zwar nicht ahnen können, dass es diese Folgen haben könne, aber ich hätte mich an ihm rächen wollen, weil er mich enttäuscht habe.«

    »Was hat dein Vater darauf gesagt?«
    »Es ist mehr das, was er nicht gesagt hat. Ich hatte erwartet, dass er mich in Schutz nehmen würde, aber das hat er nicht getan. Später hat mir irgendein Kind hinterbracht, dass meine Mutter gesagt hätte, wenn Gott eines ihrer Kinder als Opfer gefordert hätte, warum hätte es gerade Dennis sein müssen?«
    »Diese Geschichte habe ich auch gehört«, gab Jean zu.
    »Du bist mit dem Wunsch aufgewachsen, von deinen Eltern wegzukommen, Jean, und mir ist es genauso gegangen. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass wir Gleichgesinnte sind. Wir haben uns beide in die Wissenschaft gestürzt und ansonsten den Mund gehalten. Siehst du deine Eltern noch häufig?«
    »Mein Vater lebt auf Hawaii. Ich habe ihn dort letztes Jahr besucht. Er hat eine Freundin, die ziemlich nett ist, aber er verkündet jedem, der es hören will, dass er mit einer Ehe ein für alle Mal genug habe. In den

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