Mein ist die Stunde der Nacht
Geschichte mit ihr, das ist ja schrecklich, nicht?«
»Schrecklich«, pflichtete die Eule bei.
»Ich habe gelesen, dass am Anfang von einem Mordverdacht die Rede war, aber inzwischen geht die Polizei wohl davon aus, dass sie ohnmächtig wurde, als sie in das Becken sprang.«
»Dann, muss ich sagen, ist die Polizei einfach dämlich.«
Joel sah ihn neugierig an. »Du glaubst, dass Alison ermordet wurde?«
Der Eule wurde plötzlich bewusst, dass sie vielleicht eine Spur zu heftig gewesen war. »Soviel ich weiß, hat sie sich im Lauf der Zeit eine Menge Feinde eingehandelt«, sagte er vorsichtig. »Aber wer weiß? Wahrscheinlich hat die Polizei diesmal Recht. Deshalb wird ja auch immer davor gewarnt, alleine schwimmen zu gehen.«
»Romeo, mein Romeo!«, juchzte eine Stimme.
Marcy Rogers – die Julia in der Schulaufführung – tippte Nieman auf die Schulter. Er wirbelte herum.
Marcy hatte immer noch ihre kastanienbraune Lockenmähne, nur blitzten jetzt goldblonde Strähnen daraus hervor. Sie gefror zu einer theatralischen Pose und deklamierte: »Dass alle Welt sich in die Nacht verliebt …«
»Ist das möglich! Meine Julia!«, rief ein strahlender Joel Nieman aus.
Marcy blickte auf die Eule . »Oh, hallo.« Sie wandte sich wieder an Nieman. »Du musst unbedingt meinen Romeo im wirklichen Leben kennen lernen. Er steht drüben an der Bar.«
Abgang. Genau so, wie er es immer wieder in Stonecroft erlebt hatte. Marcy hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen Blick auf sein Namensschild zu werfen. Er war einfach Luft für sie.
Die Eule sah sich um. Jean Sheridan und Laura Wilcox standen nebeneinander in der Schlange vor dem Büfett. Er studierte Jeans Profil. Im Gegensatz zu Laura war sie eine dieser Frauen, die mit zunehmendem Alter besser aussahen. Sie wirkte entschieden anders, obwohl sich ihre Gesichtszüge sicherlich nicht verändert hatten. Was sich geändert hatte, waren ihr Auftreten, ihre Stimme, die Art, wie sie sich hielt. Natürlich taten die Frisur und die Kleidung ein Übriges, aber die Veränderung war bei ihr mehr innerlich als äußerlich. Als Mädchen musste ihr die Art, wie sich ihre Eltern bekriegt hatten, zugesetzt haben. Ein paarmal hatten die Bullen ihnen sogar Handschellen angelegt, so überdrüssig waren sie der ewigen Streitereien gewesen.
Er ging auf die Schlange vor dem Büfett zu und nahm einen Teller vom Stapel. Allmählich begann er seine ambivalente Haltung Jean gegenüber zu begreifen. Während der Jahre in Stonecroft hatte sie sich einige Male überwinden können und war nett zu ihm gewesen, zum Beispiel, als er nicht in das Footballteam aufgenommen worden war. Tatsächlich hatte er im Frühjahr des Abschlussjahres sogar überlegt, sie zu fragen, ob sie mal mit ihm ausgehen wolle. Er war sich sicher gewesen, dass sie damals keinen Freund hatte. Manchmal, an warmen Samstagabenden, hatte er sich in der »Straße der Liebespärchen« hinter einem Baum versteckt und auf die Autos gewartet, die sich dort nach dem Kino einfanden. Nie hatte er Jean in einem von ihnen gesehen.
Trotz dieser positiven Gedanken war es jetzt zu spät, den Lauf der Dinge zu ändern. Erst vor wenigen Stunden, als er sie ins Hotel hatte hereinkommen sehen, hatte er endgültig beschlossen, sie ebenfalls zu töten. Jetzt begriff er, warum er diese unwiderrufliche Entscheidung getroffen hatte. Seine Mutter pflegte zu sagen: »Stille Wasser sind tief.« Jeannie war vielleicht ein paarmal nett zu ihm gewesen, aber im Grunde ihres Wesens war sie vermutlich genau wie Laura und die anderen und hatte sich halb tot gekichert über den armen
Trottel, der sich in die Hosen gemacht und geweint und gestottert hatte.
Er lud sich Salat auf den Teller. Und was hatte es schon zu sagen, dass er sie nicht bei den Liebespärchen mit einem dieser Idioten aus seiner Klasse angetroffen hatte?, dachte er. Stattdessen hatte die angeblich so kühle Miss Jeannie eine heiße Affäre mit einem Kadetten von West Point gehabt – darüber wusste er genau Bescheid.
Rasende Wut durchzuckte ihn und gemahnte ihn daran, dass er die Eule bald freilassen musste.
Er ließ die Nudeln aus, wählte pochierten Lachs und grüne Bohnen mit Schinken und sah sich um. Laura und Jean hatten sich gerade an dem Tisch niedergelassen, der für die Ehrengäste reserviert war. Jean fing seinen Blick auf und winkte ihm zu, sich zu ihnen zu gesellen. Lily sieht genau wie du aus, dachte er. Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend.
Plötzlich hatte er
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