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Mein ist die Stunde der Nacht

Mein ist die Stunde der Nacht

Titel: Mein ist die Stunde der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Häuserblocks von dem Motel entfernt, in dem Jean und Kadett Carroll Reed Thornton ihre wenigen gemeinsamen Nächte verbracht hatten. Als das Motel in Sicht kam, fuhr Jean langsamer und musste blinzeln, weil ihr Tränen in die Augen stiegen.
    Das Bild von Reed war in ihrem Geist noch so präsent, die Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit so stark. Fast hatte sie das Gefühl, dass er dort war und auf sie wartete, in Zimmer 108, und sie nur hineingehen musste. Reed mit seinen blonden Haaren und seinen blauen Augen, seinen starken Armen, die sich um sie gelegt und ihr ein Glücksgefühl gegeben hatten, das sie in ihren bisherigen achtzehn Lebensjahren nie für möglich gehalten hatte.
    »Ich träum von Jeannie …«
    Noch lange nach Reeds Tod war sie manchmal morgens mit der Melodie dieses Liedes im Kopf aufgewacht. Wir waren so verliebt, dachte Jean. Er war mein Märchenprinz und ich sein Aschenputtel. Er war lieb und klug und besaß eine Reife, die weit über seine zweiundzwanzig Jahre hinausging. Er liebte das militärische Leben. Er hat mich ermutigt, zu schreiben. Er zog mich auf mit der Bemerkung, dass ich eines Tages, wenn er General sei, seine Biografie schreiben würde. Als ich ihm erzählte, dass ich schwanger bin,
machte er sich Sorgen, weil er wusste, was sein Vater von einer frühen Hochzeit hielt. Doch dann sagte er: »Wir werden einfach unsere Pläne ändern, Jeannie, das ist alles. Auch in meiner Familie hat es schon frühe Hochzeiten gegeben. Mein Großvater hat am selben Tag geheiratet, an dem er den Abschluss in West Point gemacht hat, und meine Großmutter war damals erst neunzehn.«
    »Aber du hast mir erzählt, dass sich deine Großeltern schon aus Kinderzeiten kannten«, erwiderte sie. »Das ist ein großer Unterschied. Sie werden glauben, ich wäre irgendein Mädchen aus der Stadt, das nur schwanger geworden ist, damit du es heiratest.«
    Reed legte seine Hand auf ihren Mund. »So etwas will ich nie wieder hören«, sagte er mit fester Stimme. »Wenn meine Eltern dich erst kennen gelernt haben, werden sie dich auch mögen. Und wo wir beim Thema sind: Du solltest mich auch so bald wie möglich mit deinen Eltern bekannt machen.«
    Am liebsten wäre ich schon Studentin in Bryn Mawr gewesen, bevor ich Reeds Eltern kennen gelernt hätte, dachte Jean jetzt. Dann hätten sich meine Mutter und mein Vater bereits getrennt. Wenn seine Eltern sie einzeln kennen gelernt hätten, wäre es vielleicht gut gegangen. Vielleicht hätten sie dann gar nichts über ihre Probleme erfahren.
    Wenn Reed nicht gestorben wäre.
    Wenn wir schon verheiratet gewesen wären, hätte ich Lily behalten können, selbst wenn Reed danach gestorben wäre. Reed war ein Einzelkind. Seine Eltern wären vielleicht verärgert über unsere Heirat gewesen, aber sie hätten sich bestimmt sehr über ein Enkelkind gefreut.
    Doch dieses Glück war uns nicht beschieden, dachte Jean, als sie auf das Gaspedal drückte und am Motel vorbeifuhr.

    Craig Michaelsons Kanzlei nahm ein ganzes Stockwerk in einem Gebäude ein, das zu der Zeit, als sie mit Reed zusammen
gewesen war, noch nicht dort gestanden hatte. Der Empfangsbereich war einladend eingerichtet mit holzgetäfelten Wänden und breiten Sesseln, deren Bezug in einem antiken Gobelinmuster gehalten war. Zumindest an der Oberfläche sollte Michaelsons Firma wohl einen florierenden Eindruck machen, dachte Jean.
    Sie hatte nicht genau gewusst, was sie dort erwartete. Auf der Fahrt von Cornwall nach Highland Falls hatte sie sich Gedanken über Michaelson gemacht. Wenn er an Dr. Connors’ System, die gesetzlichen Vorschriften der Geburtenmeldung zu umgehen, beteiligt gewesen war, handelte es sich möglicherweise um einen windigen Typen, der sich defensiv verhalten und nicht sonderlich hilfsbereit zeigen würde.
    Nachdem sie zehn Minuten gewartet hatte, holte Craig Michaelson sie persönlich im Empfangsbereich ab und führte sie in sein privates Büro. Er war ein großer Mann, knapp über sechzig, breit gebaut, aber mit leicht eingezogenen Schultern. Sein noch volles Haar, eher dunkelgrau als silbern, wirkte so gepflegt, als wäre er eben vom Friseur gekommen. Der dunkelgraue Anzug war gut geschnitten, und seine Krawatte wies ein unaufdringliches grau-blaues Muster auf. Alles an seiner Erscheinung wie auch an den geschmackvollen Möbeln und Gemälden in seinem Büro deutete darauf hin, dass man es mit einem zurückhaltenden und konservativen Menschen zu tun hatte.
    Jean ging der Gedanke durch den Kopf,

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