Mein ist die Stunde der Nacht
um die Empfangsdame und einige andere Leute an der Rezeption, die ihr erstaunt nachblickten, als sie an ihnen vorbeistürmte. Am Auto angekommen, riss sie die Tür auf, stieg ein und barg das Gesicht in ihren Händen.
Dann erstarrte sie plötzlich bis aufs Blut. So deutlich, als ob sie mit ihr im Auto säße, vernahm sie Lauras Stimme, die flehentlich rief: »Jean, hilf mir! Bitte, Jean, hilf mir!«
55
VOM FENSTER SEINES BÜROS aus blickte Craig Michaelson mit nachdenklicher Miene der zu ihrem Auto rennenden Jean Sheridan nach. Das war nicht gespielt, dachte er. Das ist keine Frau, die von dem Gedanken besessen ist, ihr Kind wiederzufinden, und eine so krause Geschichte erfindet. Soll ich Charles und Gano verständigen? Sie würden es nicht ertragen, wenn Meredith etwas zustößt.
Er konnte und durfte ihnen Jean Sheridans Identität nicht verraten, aber er konnte Charles wenigstens auf die mögliche Bedrohung seiner Adoptivtochter aufmerksam machen. Dann bliebe ihm die Entscheidung überlassen, was er Meredith erzählen wollte oder auf welche Weise er versuchen würde, sie zu schützen. Wenn die Geschichte mit der Haarbürste stimmte, würde sich Meredith vielleicht daran erinnern, bei wem sie gewesen war, als sie die Bürste verlegt oder verloren hatte. Das könnte ein Hinweis auf den Absender der Faxe sein.
Jean Sheridan hatte gesagt, wenn ihrer Tochter etwas geschehe, was er hätte verhindern können, werde sie ihm etwas antun. Charles und Gano würden vermutlich nicht viel anders reagieren, dachte er.
Nachdem sein Entschluss feststand, ging Craig Michaelson zu seinem Schreibtisch und griff zum Telefonhörer. Er brauchte die Nummer nicht nachzuschlagen. Was für ein verrückter
Zufall, dachte er, als er die Nummer eingab. Jean Sheridan wohnt gar nicht weit von Charles und Gano entfernt. Sie lebt in Alexandria, Charles und Gano wohnen in Chevy Chase.
Nach dem ersten Klingeln wurde abgehoben. »Vorzimmer General Buckley«, sagte eine Stimme knapp.
»Craig Michaelson. Ich bin ein guter Freund von General Buckley. Ich muss ihn in einer sehr wichtigen Angelegenheit sprechen. Ist er da?«
»Tut mir leid, Sir. Der General befindet sich in offizieller Mission im Ausland. Kann Ihnen vielleicht jemand anders weiterhelfen?«
»Nein, ich fürchte nicht. Werden Sie mit dem General sprechen?«
»Ja, Sir. Das Büro steht regelmäßig in Kontakt mit ihm.«
»Dann sagen Sie ihm bitte, es sei äußerst wichtig, und er möge mich so bald wie möglich anrufen.« Craig buchstabierte seinen Namen und hinterließ sowohl die Nummer seines Handys als auch die seines Büros. Er zögerte, hielt es dann aber für besser, nicht hinzuzufügen, dass es um Meredith ging. Charles würde sich auf seine dringende Bitte hin sofort melden, sobald er die Nachricht erhielt – darauf konnte er sich verlassen.
Und außerdem, dachte Craig Michaelson, als er auflegte, ist Meredith in West Point sicherer, als sie es an fast jedem anderen Ort sein würde.
Doch dann musste er daran denken, dass West Point auch nicht sicher genug gewesen war, um den Tod des leiblichen Vaters von Meredith, Kadett Carroll Reed Thornton jr., zu verhindern.
56
DIE ERSTE PERSON, die Carter Stewart erblickte, als er um halb vier das Glen-Ridge House betrat, war Jake Perkins, der sich wie gewohnt in der Eingangshalle in einem der Sessel fläzte. Hat der Kerl kein Zuhause?, dachte Stewart, begab sich zum Telefon am Ende der Rezeption und wählte die Nummer von Robby Brents Zimmer.
Niemand meldete sich. »Robby, ich denke, wir sind um halb vier verabredet«, schnarrte Stewart als Antwort auf die Computerstimme, die ihn aufgefordert hatte, eine Nachricht zu hinterlassen. »Gut, ich werde noch eine weitere Viertelstunde oder so in der Eingangshalle warten.«
Als er auflegte, geriet Sam Deegan in seinen Blick, der im Büro hinter der Rezeption saß. Ihre Blicke trafen sich, und Deegan erhob sich und kam auf ihn zu. In der Art, wie er sich bewegte, lag eine Entschlossenheit, die Stewart signalisierte, dass dies kein müßiges Gespräch werden würde.
Sie standen sich an der Rezeption gegenüber.
»Mr Stewart«, sagte Sam. »Freut mich, Sie zu sehen. Ich habe eine Nachricht in Ihrem Hotel hinterlassen und gehofft, Sie würden mich zurückrufen.«
»Ich habe mit meinem Regisseur am Text meines neuen Stückes gearbeitet«, entgegnete Carter schroff.
»Ich habe gesehen, dass Sie am Haustelefon waren. Treffen Sie sich mit jemandem?«
Stewart gefiel Deegans Art zu fragen
Weitere Kostenlose Bücher