Mein ist die Stunde der Nacht
dass sie sich mit einer höchst unerfreulichen Möglichkeit anfreunden musste: Falls Craig Michaelson nichts mit Lilys Adoption zu tun gehabt hatte, war dies eine weitere Sackgasse.
Sie sah dem Anwalt direkt in die Augen, während sie ihm von Lily erzählte und ihm die Kopien der Faxe und des Laborberichts zeigte. Sie skizzierte ihren eigenen Hintergrund, berichtete widerwillig von ihrem akademischen Status, den verschiedenen Ehrungen und Preisen, die sie erhalten hatte, und wies auf die Tatsache hin, dass aufgrund ihres
Bestsellererfolgs ihre günstigen finanziellen Verhältnisse in der Öffentlichkeit bekannt seien.
Michaelson wandte seinen Blick nicht von ihrem Gesicht ab, außer als er die Kopien betrachtete. Ihr war klar, dass er sie taxierte und einzuschätzen versuchte, ob sie die Wahrheit sagte oder ihm eine konstruierte Geschichte auftischte.
»Peggy Kimball, die Sprechstundenhilfe von Dr. Connors, hat mir anvertraut, dass einige der von ihm arrangierten Adoptionen illegal waren«, sagte sie. »Was ich unbedingt wissen muss, und was ich Sie bitte, mir zu sagen, ist Folgendes: Waren Sie persönlich mit der Adoption meiner Tochter befasst, und wissen Sie vielleicht, wer sie adoptiert hat?«
»Dr. Sheridan, lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich zu keiner Zeit an einer Adoption beteiligt gewesen bin, die nicht streng nach den gesetzlichen Bestimmungen abgelaufen ist. Falls Dr. Connors zu irgendeiner Zeit das Gesetz umgangen haben sollte, so hat er das ohne mein Wissen und Zutun getan.«
»Wollen Sie damit sagen: Wenn Sie sich um die Adoption meines Kindes gekümmert haben, dann wurden ich als Mutter und Carroll Reed Thornton als Vater eingetragen?«
»Ich will damit sagen, dass sämtliche Adoptionen, mit denen ich befasst war, strikt legal abgelaufen sind.«
Aus ihrer jahrelangen Unterrichtserfahrung mit Studenten, von denen ein kleiner Teil sehr geschickt mit Vortäuschung, Verstellung und Halbwahrheiten arbeitete, hatte Jean ein feines Gespür für solche Praktiken entwickelt. Sie war sicher, dass sie es in diesem Augenblick mit so etwas zu tun hatte.
»Mr Michaelson, möglicherweise befindet sich ein neunzehnjähriges Mädchen in Gefahr. Wenn Sie bei dieser Adoption hinzugezogen worden sind, dann wissen Sie auch, wer sie adoptiert hat. Sie könnten mir helfen, sie zu beschützen. Meiner Meinung nach haben Sie sogar die moralische Pflicht, mir zu helfen.«
Sie hatte genau das Falsche gesagt. Hinter den silbern gerahmten Brillengläsern wurden Craig Michaelsons Augen eisig. »Dr. Sheridan, Sie haben mich gebeten, Sie heute zu empfangen. Sie haben mir eine Geschichte erzählt, für deren Wahrheitsgehalt ich nur Ihr Wort in Anspruch nehmen kann. Sie haben indirekt angedeutet, dass ich in der Vergangenheit das Gesetz gebrochen haben könnte, und jetzt verlangen Sie, dass ich das Gesetz breche, um Ihnen zu helfen. Es gibt gesetzliche Wege, mit denen man Einsicht in das Geburtsregister bekommen kann. Sie sollten sich an das Büro des Bezirksstaatsanwalts wenden. Ich denke, dort wird man das zuständige Gericht ersuchen, das Geburtsregister offen zu legen. Ich versichere Ihnen, dass dies die einzige Möglichkeit ist, wie Sie bei dieser Anfrage vorgehen können. Wie Sie selbst sagen, besteht die Möglichkeit, dass jemand Sie in Dr. Connors’ Praxis gesehen hat und auf irgendeine Weise an Ihre Akte gelangt ist. Sie haben darauf hingewiesen, dass es vielleicht nur um Geld gehen könnte. Das ist auch mein Eindruck. Irgendjemand weiß, wer Ihre Tochter ist, und rechnet sich aus, dass Sie für dieses Wissen zahlen werden.«
Er stand auf.
Jean blieb noch für einen Moment sitzen. »Mr Michaelson, ich besitze einen guten Instinkt, und der sagt mir, dass Sie die Adoption meiner Tochter geregelt haben und dass Sie es vermutlich auf legalem Wege getan haben. Mein Instinkt sagt mir aber auch, dass derjenige, der mir diese Botschaften hat zukommen lassen und der dicht genug an Lily herangekommen ist, um ihre Haarbürste zu stehlen, gefährlich ist. Ich werde mich an das Gericht wenden, um Einblick in das Geburtsregister zu bekommen. Tatsache bleibt aber, dass meinem Kind in der Zwischenzeit etwas zustoßen könnte, nur weil Sie mauern und mich abblocken. Wenn das passiert und ich davon erfahre, bin ich imstande, Ihnen etwas anzutun, darauf können Sie Gift nehmen.«
Jean konnte die heftig aus ihren Augen hervorquellenden Tränen nicht zurückhalten. Sie stand auf und hastete aus dem Zimmer, kümmerte sich nicht
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