Mein Jahr als Mörder
Kaiserdamm hinunter, die Bismarckstraße, die Straße des 17. Juni, über den Linden Unter den Linden, über alle Unterschiede, Mauern und Kriege hinweg und zurück zum Start- und Landeplatz Kaiserdamm, Mittelstreifen, bis der Entschluss feststand: den Mord zu vergessen und alle Energie auf das Buch zu werfen, nur auf das Buch.
Das Licht oder Göring als Weihnachtsmann
Der dritte Mann der E. U, Herbert Richter, Sohn eines erfolglosen Kunstmalers, leidet seit der Kindheit unter Asthma, lernt früh das Elend kennen, schult sich an Laotse: immer das Gute im Menschen suchen. Er studiert Architektur, wird mit Heinrich Vogeler bekannt, geht nach Berlin und dringt mit seiner Mappe bis ins Atelier von Hans Poelzig vor. «So jung und so kühne Pläne», sagt der, «Ihre sprudelnde Phantasie darf nicht brachliegen», und vermittelt ihn als Architekten und künstlerischen Beirat an die UFA. Der junge Mann baut die Kulissen für den 2. Teil von «Dr. Mabuse», für «Aschenbrödel«, für Filme mit Asta Nielsen, Werner Krauss und Paul Wegener. Während der Inflation scheitert er mit einer eigenen Filmfirma. Er wird beratender Architekt der Stadt Berlin für Ausstellungen, bei der Bewag für Lichttechnik und entwirft die neue Lichtanlage im Zoo. Die Ausstellung «Ernährung» bringt 1928 den Durchbruch, er beschäftigt mehrere Leute, darunter Heinrich Vogeler, konzipiert weitere Ausstellungen, entwik-kelt moderne Dioramen und mit den ersten Lichtplastiken neue Ideen von musikalischen Lichtopern: « Mein alter Traum ist Licht und nochmals Licht.» Und so einer wird ein so genannter Hoch- und Landesverräter?
1933 findet die Polizei bei ihm marxistische Druckschriften, aber der Verdacht, mit Kommunisten in Verbindung zu stehen, bestätigt sich nicht. Richter wird noch im Jahr der Machtergreifung an der Ausstellung «Deutsches Volk, deutsche Arbeit» beteiligt, bleibt Gestalter für Industrie und Handwerk und hat im Olympiajahr mit der «Deutschland»-Schau und der «Jagdausstellung» zu tun. Ein Geschäftsfreund fragt ihn, ob er Hermann Görings Weihnachtsfeier mit Kinderbescherung arrangieren wolle. Also übernimmt Richter die architektonische Gestaltung, organisiert das Programm und beschafft die Geschenke, die er, dank guter Beziehungen zu Handwerk und Industrie, weitgehend umsonst erhält. Für den beliebten Ministerpräsidenten und Reichsmarschall spenden alle gern. Sieben Jahre lang, bis 1942, verhilft Herbert Richter Göring zum perfekten Auftritt als guter Weihnachtsmann. 1939 sorgt er für die architektonische und künstlerische Gestaltung des «Internationalen Jagdfestes» an Görings Hof in Karinhall. Und so einer wird angeklagt wegen Feindbegünstigung?
Wichtiger als die Einladungen zu Görings Geburtstagen, wichiger als die folgenden Jagd- und Kunstausstellungen («Das Wild im Foto») ist die Freundschaft zu Görings persönlichem Adjutanten, SA-Oberführer Görnnert. Ein anderer Duzfreund ist der Reichsinnungsmeister des Bäckerhandwerks, Grüsser, und so steigt Herbert Richter zum Verbindungsmann zwischen dem deutschen Handwerk und dem Haus Göring auf. Ein erfolgreicher Lobbyist, der es binnen weniger Tage schafft, dass Göring zum Ehrenmeister des deutschen Handwerks ernannt wird, was dem Handwerk eine gewisse Selbständigkeit gegenüber der Deutschen Arbeitsfront sichert. Richter erhält dafür das Goldene Ehrenzeichen. Die Handwerksmeister schmieren Görings Adjutanten Görnnert, Richter organisiert das. Im eroberten Osten werden von Vertretern des Handwerks und des Stabsamts Göring-Holzfirmen gegründet, Richter vermittelt und erhält Spesen. Und so einer hilft, Juden zu verstecken und mit Lebensmitteln zu versorgen?
In der Kantine des Reichsstands des deutschen Handwerks werden unerreichbare Luxuswaren verkauft, offenbar aus Holland, Butter und Kakao für 116 RM das Kilo, Käse für 66 RM. Auch Richter kauft hier ein und gibt hin und wieder seinen Freunden etwas ab. Butter ist eine begehrte Währung auf dem Schwarzmarkt. Und so einer wird Mitbegründer der Europäischen Union mit dem Decknamen «Miller»?
Nach drei Jahren Krieg der letzte Aufbau für eine Ausstellung, «Sommerblumen am Funkturm», dann beginnt die Konjunktur des Abbaus, der Trümmer. Im Sommer 1942 wird Herbert Richter vom Handwerk bevollmächtigt, Verhandlungen zur Beseitigung von Bombenschäden mit den Behörden zu führen, im Sommer 1943 erhält er einen festen Vertrag. Er reist durch das Reich, macht Vorschläge bei den
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