Mein Jahr als Mörder
mobilisieren, bis das Gnadengesuch bei den allerhöchsten Mördern landet, beim Chef der Sicherheitspolizei, SS-Obergruppen-führer Kaltenbrunner. Das Wunder geschieht. Der Reichsführer SS Himmler erhebt, offenbar ohne Kenntnis der Akte, Einspruch gegen die Hinrichtung. Das passt den Mordgesellen im Justizministerium aber nicht, und Himmler zieht, nach Rücksprache mit einem Herrn Theyßen, den Einspruch zurück.
Der Scharfrichter Röttger wird gut verdienen im Jahr 1944. Die Verurteilten arbeiten um ihr Leben. Groscurth unter der Gasmaske. Er plant über Eisenbehandlung und Progynon, dann über Milchsäure, dann für die Firma Leitz über die Größe der Erys zu forschen. Wieder ist ein Brief erlaubt, diesmal ohne medizinische Fragen: Der Gedanke an die Kinder ist deshalb so schmerzlich, weil das Zusammensein mit ihnen für mich die größte Freude wäre. Sie selbst werden auch ohne mich fertig, weil sie die beste Mutter haben, die ich mir denken kann. Dieser Gedanke ist mir immer wieder Trost. - Wollt Ihr bei den schweren Angriffen nicht lieber nach Wehrda? Ich habe bei jedem Angriff Angst um Euch. So viel kann in meiner Angelegenheit persönlich ja doch nicht getan werden.
Anneliese muss für jeden Besuch in Brandenburg beim Volksgerichtshof eine Sondergenehmigung beantragen, die ungefähr alle vier Wochen gewährt wird. Ständige Bombenangriffe bei den Zugfahrten nach Brandenburg. In der Besucherzelle ist Berühren verboten. Mit traurigen Augen sich Mut zusprechen ist erlaubt. Sie findet: Er sieht elend und mager aus. Er findet: Sie sieht elend und mager aus. Aber darüber sprechen sie nicht. Eine halbe Stunde: Kinder. Arbeit. Material. Beziehungen. Seine Mutter, ihre Eltern, Verwandtschaft. Arbeit. Kinder. Liebster. Liebste.
Ein Uniformierter schreibt jedes Wort mit - oder tut so.
Die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Georg stellt fest: Nach vorheriger intravenöser Gabe von 500 mg L-Ascorbinsäure konnte unter der Maske fast die Arbeitszeit erreicht werden, wie sie ohne Maske und ohne Vorbehandlung durchführbar war. Er treibt die Untersuchungen voran, die ihn retten sollen, und zweifelt jeden Tag: Wirst du zu früh fertig, sagen sie danke, das war's dann? Robert antwortet: tak - tak, taktaktak -tak, tak - taktak, tak - taktaktaktak-tak, taktak - tak, taktaktak - taktaktak, tak - taktaktaktak-tak, das heißt: arbeite! Robert wird in eine andere Zelle verlegt.
Rechter Verteidiger
Wenn ich überlege, ob ich mich wirklich Tag und Nacht allein mit dem Richter R. und den Groscurths beschäftigt habe, fällt mir, außer Catherine, nur der Fußball ein. Gegen Ende des bleiernen Berliner Winters, bei den ersten Anzeichen des lässig und sehnsüchtig erwarteten Frühlings begann die neue Saison mit den Rixdorfer Balltretern. Wenigstens einmal in der Woche, wenigstens sonntags heraus aus Studien und Akten, zwei Stunden bolzen im Matsch, im Staub, auf Regenrasen.
Doch schon am ersten Spieltag nach der Winterpause wollte ich auf dem Fußballplatz Weiterarbeiten. Es war März, das Urteil des Schwurgerichts in Sachen R. lag endlich vor. Dem Mörder Groscurths wurde bescheinigt, die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten und die Todesurteile als Abschreckung gegen die gefährliche Welle des Defaitismus in der Bevölkerung zu Recht gesprochen zu haben. In der Presse kochte die Empörung noch einmal hoch, zwei Tage lang.
Zu dem bunten Haufen der Sonntagskicker, der Künstler, Dichter, Journalisten, Kabarettisten, Mediziner, Filmer gehörten auch zwei oder drei Juristen. Nach dem Spiel oder in der Pause wollte ich Otto oder Jochen fragen, ob sie die Richter kennen, die den Richter R. freigesprochen haben, ob es Revision geben werde und mit welchen Chancen.
Wir hatten Glück mit dem Wetter, es war trocken, und an diesem Sonntagnachmittag waren wir einundzwanzig Leute auf dem vernachlässigten Platz an der Stadtautobahn, also mussten zehn gegen elf antreten. Wie immer wählten zwei der stärksten Spieler abwechselnd ihre Mannschaften zusammen, Harun begann mit Uwe, Arno mit Neuss, dann wurden die ändern einzeln aus dem Pulk gerufen. Wie Otto und Peter gehörte ich zu den am wenigsten begehrten Spielern, zum letzten Viertel der Schwachen, die zum Schluss beinah gnädig mehr verteilt als gewählt wurden. Wichtig für mein Geständnis ist nur, dass Otto und ich bei Arnos Mannschaft landeten.
Ich war nicht Stürmer, nicht Libero, nicht einmal Torwart. Ich war nicht schnell, vermied Kopfbälle, konnte schlecht
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