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Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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kalt, die Todeskandidaten schlottern in dünner Kleidung, in den Schüsseln laukalt das schlechteste Essen, kaum Kalorien, rechnet Groscurth aus, es wird nur schwach geheizt auf drei Heizungsrippen pro Zelle. Havemann und Groscurth haben in den ersten Wochen das Glück, nebeneinander zu hausen, und wenn sie nicht arbeiten, stehen sie an der Heizung. Halbe Nächte stehen sie so, etwas Wärme suchend und Gespräche. Sie entwickeln ein Klopfsystem mit Buchstaben, teilen das Alphabet in drei Reihen, A-H, I-Q, R-Z, und mit einem abgerissenen Hosenknopf klopfen sie leise auf die Heizrippen, zuerst mit einem oder zwei oder drei Taks die Reihe, dann die Stelle des Buchstabens in seiner Reihe, I und J sind eins. So verständigen sie sich über den Krieg, die Aussichten, die Freunde. Tak-taktaktaktak, taktaktak-taktaktaktak, das heißt: du. Tak-taktak, taktaktak, taktaktak - taktak, taktaktak - taktaktak, das heißt: bist. Tak - taktaktaktaktak, taktak - tak, taktak -taktaktaktaktak, das heißt: ein. Und im geduldigen Takt geht es weiter, bis der Satz fertig ist, den Georg in die Nachbarzelle klopft: ein hoffnungsloser Optimist.
    Robert schreibt einen Kassiber: Klinische Erfahrungen mit schweren Erfrierungen, Elektrokardiographische Neuigkeiten, Unterschiede der Wirkung der verschiedenen Sulfonamide, Anwendung von Sulfonamiden gegen Gasbrand und Tetanus, Arsen und Agra-nulocythose bei Spätwirkungen von Clark-Vergiftungen ... Meine umseitigen Themen betrafen theoretische und z. Tl. auch spekulative Ausarbeitungen, die Du auf Grund Deiner praktischen klinischen Erfahrungen und Deiner Literaturkenntnisse jetzt schriftlich hersteilen sollst, um sie zur Unterstützung Deines Gnadengesuchs an maßgebliche Stellen (Reichsärzteführer, Reichsführer SS Himmler, Militärärztliche Akademie) zur Begutachtung zu senden ...
    Georg lässt Anneliese sondieren, welche Instanzen an welchen Forschungen interessiert sein könnten, während er in der Zelle auf dem Fahrradergometer unter der Gasmaske ächzt und seine Milchsäurewerte notiert. Doktoranden schicken Dissertationen, er korrigiert. Die Anstaltsleitung hat nichts dagegen, dass Dr. Groscurth die Vollzugsbeamten behandelt. Auch diese Patienten schätzen ihn. Am liebsten beschäftigt er sich mit Astronomie, studiert in Fachbüchern Gravitation, Lichtgeschwindigkeit, Quantenbahnen und Sternnebel.
    Der Schwiegervater ist der Erste, der ihn besuchen darf. Vaters Besuch war mir eine große Freude und Beruhigung. Wie in der Kindheit wenn ich hohes Fieber hatte und mein Vater mir die kühlenden Hände auflegte und zu mir sprach. Ich habe geweint, weil ich an all das dachte, was ich verloren habe, an Euren und meinen Schmerz; nicht aus Angst vor dem Ende. Angst habe ich nicht, weil mich nichts schrecken kann. Alles muß ertragen werden, wie es kommt; in meiner Lage kann man den Lauf des Schicksals nicht beeinflussen. Wie hatte ich mir das Leben gedacht!
    Seine Schwester Luise schickt Kreppei aus Wehrda, die Leibspeise Pfannkuchen, an Anneliese nach Berlin, die sie nach Brandenburg zum Anstaltspfarrer Barth bringt. Der versteckt die Kreppei im Ärmel, schmuggelt sie in die Zelle und stellt sich vor das Guckloch, bis der Häftling alles aufgegessen hat. Der Pfarrer bietet Frau Groscurth an, ihrem Mann, an der Zensur vorbei, vertrauliche Mitteilungen zu hinterbringen.
    In der Zwischenzeit nutzt der Schwiegervater, der Industrielle Heinrich Plumpe, seine Beziehungen und versucht, die prominenten Patienten zu gewinnen, den Aufschub der Hinrichtung ihres Arztes zu befürworten. Aber selbst Wilhelm Keppler, Staatssekretär im Auswärtigen Amt und hoher SS-Mann, spricht in seinem Brief von dem bewussten Vorgang und der betreffenden Behörde, als habe er selber Angst vor der Gestapo und ihren Verdächtigungen. Auch der frühere stellvertretende Gauleiter der NSDAP-Auslandsorganisationen, Alfred Heß, ist verschreckt von den Vorwürfen gegen den verehrten Arzt, der ihm das Leben rettete. Es ist schon ein Rätsel, wie ein gutmütiger, ausgesprochen gescheiter, bescheidener Mann ohne jeglichen politischen Ehrgeiz plötzlich zum politischen Hochverrat kommen kann.
    Nur der Pharmafabrikant Grüter und die Pharmakologen der Universität wollen auf keinen Fall auf Groscurths Mitarbeit und Forschungsdrang verzichten, aber was kümmert die kleinen Cäsars im Reichsministerium der Justiz der Fortschritt der Pharmakologie? Trotzdem schafft es der Anwalt Hendler, die Forscher und Industriellen so lange zu

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