Mein Jakobsweg
begeistert; es war so schön, ihnen zuzuhören. Nun sollte dieser Pilgerweg die Krönung all ihrer Reisen werden. Meine Genesungswünsche kommen aus tiefstem Herzen.
Bei dem Wort Kanada horche ich immer auf; das ist für mich so eine ganz besondere Sache. Wenn mir beim Herumstöbern in einer Buchhandlung das Buch eines kanadischen Autors in die Hände fällt, dann kaufe ich es. Weil ich so gern alles wissen möchte über das Land und vor allem über die dortige Art zu leben. Das ist mir sehr wichtig. Mit jedem Buch hoffe ich auch etwas mehr über das Leben meines Vaters zu erfahren, den ich nie kennenlernen durfte. Anfang der Fünfzigerjahre war er mit seiner Familie nach Kanada ausgewandert. Ich denke auch oft an seine beiden Kinder und frage mich, ob es ihnen schwergefallen ist, ihre Heimat und ihre Freunde zu verlassen, und ob sie sich in diesem fremden Land mit der anderen Sprache gut einleben konnten.
Von dem Kanadier, jetzt hier in León, weiß ich nicht einmal den Namen. Trotzdem geht mir jetzt beim Schreiben die Idee durch den Kopf, er könnte durch einen verrückten Zufall mein Bruder sein. Das Alter wäre passend. Er spricht auch Deutsch. Ich habe ihn sogar einmal gefragt, ob seine Eltern aus Deutschland seien. Ich glaube mich zu erinnern, dass er erst etwas zögerte, aber dann meine Frage umging, indem er das Thema wechselte. Doch wie dem auch sei: Das Ganze bleibt Spekulation, noch dazu eine sehr unwahrscheinliche. Fest steht: Ich habe auf dem Jakobsweg einen sehr sympathischen Kanadier mit seiner Frau getroffen, nicht mehr und nicht weniger. Ich wünsche mir sehr, dass sie jetzt, wo ich dies schreibe, beide zusammen wieder gesund und munter in ihrer Heimat, in Kanada sind.
Später gehe ich mit einer jungen Schweizerin noch einmal ins Zentrum. Sie ist um die 30, heißt Karin und beginnt ihren Camino erst hier. Ich zeige ihr sozusagen den Weg, den ich selbst nicht genau kenne. Tatsächlich habe ich dann auch wieder Schwierigkeiten, zurückzufinden. Wir trennen uns vor der Kathedrale, weil ich meine, ein jeder sollte in seiner Andacht einzig für sich sein.
Dann stehe ich wieder im Licht dieser sonnendurchfluteten Fenster. Ich kann mich lange nicht lösen von dieser einzigartigen Schönheit. Das Wort »friedvoll« fällt mir ein. Ja, hier finden die Menschen Frieden.
Draußen auf dem Platz treffe ich zwei Spanierinnen, die ich schon kenne. Sie sind Schwestern, da bin ich mir ganz sicher. Wie immer, wenn wir uns begegnen, sagen wir Buen Camino a Santiago und berühren uns an der Schulter. In der Nähe spielt ein Mann Klarinette. Es hört sich wunderbar an.
Gleich hinter der Kathedrale entdecke ich eine Stadtmauer und bin überrascht, weil sie so sehr hoch und gut erhalten ist. Außerhalb kann man bequem an ihr entlanggehen; dabei passiert man immer wieder dicke runde Türme aus der Zeit vor dem elften Jahrhundert. Eckige kamen erst in späterer Zeit auf, als die Kanonenkugeln erfunden waren und ein runder Turm unter Beschuss zu schnell in sich zusammengefallen wäre.
Für das Abendessen kaufe ich mir leckeren spanischen Schinken, frisches Weißbrot und eine Flasche Rotwein. Dann füllen wir die Gläser, zuerst mal mit meinem Wein.
Karin, die junge Schweizerin, ist so voller Tatendrang, dass sie am liebsten jetzt gleich losgehen würde. Sie trägt Gegenstände mit sich, die in Santiago gesegnet werden sollen. Gut vorbereitet hat sie sich auch: Sie kennt alle Orte und auch die Zeiten von Pilgermessen, die unterwegs gelesen werden. Und an jeder dieser Messen will sie auch teilnehmen.
Das kommt mir schon etwas sonderbar vor. Sie kann ja unmöglich wissen, ob sie um 12 hier und um 17 Uhr schon wieder an einem anderen Ort sein kann. Diesem Stress kann man sich doch gar nicht aussetzen! Unter diesen Bedingungen plant sie auch viel zu viele Kilometer für jeden Tag.
Mein Gedanke des Pilgerns ist wohl ein anderer. Wenn eine Kirche offen ist, gehe ich hinein, ist sie verschlossen, gehe ich weiter.
Mal langsam, sagen auch die anderen, du kannst nicht 30 oder 40 Kilometer an einem Tag gehen und dann auch noch pünktlich bei den Messen sein. Das sei sie gewohnt, erwidert sie, sie mache viele Hüttenwanderungen. Obwohl dem ja nun nichts mehr hinzuzufügen ist, rate ich ihr dennoch, die ersten Kilometer mit dem Bus zu fahren. Dann könne sie sich noch etwas schonen und wenigstens die stark befahrenen Straßen und Autobahnzubringer, an denen der Pilgerweg entlangführt, erst mal hinter sich lassen. Schließlich
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