Mein Jakobsweg
hätten wir noch 300 Kilometer vor uns, und gehen könne sie immer noch genug.
Von León nach Hospital de Órbigo
Das Glück müssen wir dankbar annehmen
und genießen - aber nie fordern.
Wilhelm von Humboldt
I n der Frühe entdecke ich auf dem Busbahnhof sogar ein heiles Telefon. Es war ganz einfach, denn vor mir hatte ein Spanier alle Telefone ausprobiert. Ich benutze dann dasselbe wie er und kann Peter einen fröhlichen guten Morgen wünschen.
In letzter Minute ist Karin nun doch noch plötzlich da, mit einer zweiten peregrina. Im Bus sitzen sie vor mir. Aber nach nur wenigen Haltestellen steigen sie auch schon wieder aus. Viel zu früh, wie ich finde, denn diese lästigen Autobahnauffahrten, die so schwer zu überqueren sind, liegen noch immer vor uns. Ich fahre noch bis Villadangos del Páramo, von dort sind es noch zwölf Kilometer bis Hospital de Órbigo. Zwar verläuft der Camino im Wesentlichen entlang einer Straße. Sie ist allerdings nicht sehr befahren, und so lässt es sich gut gehen.
Dann endlich habe ich sie erreicht, diese Brücke, von der ich mir immer vorgestellt habe, wie es wohl sein wird, wenn ich als peregrina über sie hinweggehe. Bereits von den Römern erbaut, spannt sie sich mit 18 weiten Bogen über das Flussbett des Órbigo, so schmal, dass sie vielleicht gerade mal einem Eselskarren genug Platz bietet.
Brücken haben eine ganz eigenartige, aber dennoch auch sehr verbindende Magie, finde ich. Schließlich eröffnet mir eine Brücke den Weg zur anderen Seite eines Flusses, wo mir die Menschen für immer fremd blieben, wenn mich nicht die Brücke zu ihnen führte. Gerade hier auf dem Camino gibt es sehr schöne und auch sehr alte Brücken mit ihrer ureigenen Geschichte. Viele wurden im Mittelalter von Herrschern, reichen Kaufleuten oder sonstigen honorigen Personen nicht zuletzt für die Pilger erbaut, um das gefahrvolle Überqueren der Flüsse mit Booten zu mindern. Schließlich brachten zu allen Zeiten die Pilger schon sehr viel Geld ins Land, und mancher Ort auf dem Camino verdankt seine Entstehung einzig dieser Pilgerschaft. So war es eine Notwendigkeit, die Flüsse passierbar zu halten. Auch und gerade in Zeiten der Schneeschmelze oder starker Strömung bei Hochwasser.
Die Herberge ist noch geschlossen. Als ich nur eben schnell meinen Rucksack vor die Tür stellen will, öffnet von innen der Pfarrer die Tür für mich. Ich erschrecke richtig, weil ich nicht damit gerechnet habe, aber er lässt mich gleich herein.
Diese Herberge wird als wunderschön beschrieben und ist gerade erst von Freiwilligen des Christophorus-Jugendwerkes aus dem Schwarzwald renoviert worden. Als Erstes fällt die schöne Wandmalerei auf: Hoch oben auf einem Berg tritt aus dichtem Grün ein Pilger heraus, der den Weg nach unten gehen wird, bis hinunter zum Fluss. Dieser entspringt dem Berg, fließt unter einem Brückchen hindurch und mündet in einen Brunnen. Wer auch immer dieses Kunstwerk erschaffen haben mag - es muss ihm oder ihnen sehr viel Freude bereitet haben.
Unter einer Überdachung stehen große Tische mit Bänken und Stühlen. Auch sonst stehen Bänke an den Wänden - es ist richtig gemütlich hier. Durch ein weiteres Tor gelangt man nach hinten auf die Terrasse mit einem Brunnen und noch mehr Sitzgelegenheiten. Hier ist auch ein großes Becken zum Wäschewaschen, und schon bald flattert meine Wäsche in dem Garten auf der Leine. Alle Türen und Fenster sind hellblau gestrichen. Da es mehrere kleine Schlafräume gibt, sind es relativ viele Türen.
Außer mir ist niemand da: Der Pfarrer ist gegangen, und der Herbergsvater kommt erst um 14 Uhr. Ich kann also in Ruhe duschen und ohne Gedränge meine Wäsche waschen. Dann koche ich mir Tee und genieße mein Essen. Später teilt mir der Herbergsvater, er ist Holländer, ein Bett zu.
Meine Kammer teile ich mir mit drei Holländern, eine Frau und zwei Männer. Vorsichtig geschätzt, sind sie sicherlich um die 70. Ursprünglich seien sie zu fünft gewesen, aber einer von ihnen sei unterwegs erkrankt und die zweite Person sei mit zurückgefahren. Sie wandern sehr viel, sagen sie, und sind auch schon den Europaweg gegangen: von Holland durch Deutschland und über die Alpen bis nach Italien. Heute kommen sie von León und zeigen mir eine Karte mit einem neuen Pilgerweg, der das gesamte Straßennetz im wahrsten Sinne des Wortes links liegen lässt. Ich staune nur und wage nicht zu fragen, wie viele Kilometer dieser Rundweg hat und wie
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