Mein Jakobsweg
dass ich schon einmal um diesen ganzen Komplex herumgegangen bin. Es handelt sich wohl um ein ehemaliges Kloster oder eine Klosterschule. Einige Nonnen leben noch dort. Nach einem freundlichen Empfang mit dem üblichen Eintrag ins Pilgerbuch erreiche ich über eine Treppe die Schlafräume. Es gibt großzügige und sehr saubere Duschen, warmes Wasser, eine Waschmaschine und eine Küche, in der morgens ein Frühstück ausgegeben wird. Männer und Frauen schlafen hier getrennt, was mir sehr angenehm ist. In dem großen Innenhof stehen Bänke und Wäscheständer, wo ich meine Wäsche gleich mit dazuhänge.
So ein Innenhof kann sehr gemütlich sein. Wir, die wir müde vom Pilgern sind, schieben die Bänke zusammen und lassen es uns gut gehen. Inzwischen sind mir ja schon viele peregrinos bekannt, aber einige beginnen den Camino auch erst hier. Wie das unter Pilgern so üblich ist, kommen wir alle miteinander leicht ins Gespräch.
Wir reden über das, was vor uns liegt oder auch gerade hinter uns. Angesichts der Frage, wie man sich auf dem langen Weg bei Kräften hält, ist die Gesundheit immer wieder ein Thema. Nur selten erfahre ich, ob jemand verheiratet ist oder Kinder hat oder welcher Religion er angehört. Ich glaube, diese Informationen sind in unserer Zeit des Pilgerns einfach bedeutungslos. Wichtig bleibt der Mensch. Nur er allein. Was uns verbindet, ist das gemeinsame Ziel. Und der Wunsch, ein jeder möge ankommen. Wohl deshalb werden auch die Beweggründe, sich auf den Weg zu machen, nur sehr selten konkretisiert.
Ich hätte auch keine so richtig plausible Erklärung für mein Pilgern. Allerdings suche ich auch nicht nach einer Antwort. Der Wunsch, zu pilgern, bleibt eben im Unbewussten und ist, wie ich finde, dort auch sehr gut aufgehoben. Dennoch kann man den Akt des Pilgerns als Symbol für die menschliche Existenz sehen: Sind wir Menschen auf Erden nicht alle Pilger? Müssen wir uns nicht tagtäglich aufs Neue bemühen, um unser Ziel zu erreichen?
Mit einer jungen Französin verstehe ich mich sehr gut. Sie wohnt an der Grenze zu Deutschland und spricht auch meine Sprache. Die Ärmste hat leider sehr starke Schmerzen in einem Fuß. Das könnte irgendetwas an einem Knochen sein, vermute ich und rate ihr dringend, einen Arzt aufzusuchen. Aber sie will es morgen noch einmal probieren, obwohl sie kaum auftreten kann. Ihre Freundin könnte ihr ja etwas aus dem Rucksack abnehmen, meint sie. Sowieso sind fast alle Rucksäcke viel zu schwer bepackt. Schließlich soll man nur zehn Prozent seines Eigengewichts tragen. Auf Dauer wäre sogar das schon zu viel. Denn die täglichen Lebensmittel und vor allem das Wasser wiegen noch zusätzlich. Entsprechend gering muss das Gepäck sein, das man über die gesamte Länge des Weges zu tragen hat. Die junge Frau aus Frankreich jedoch ist ein richtiges Leichtgewicht und dürfte höchstens fünf Kilogramm im Rucksack haben. Stattdessen ist er sogar noch schwerer als meiner. Fast alle Pilger sind inzwischen auch schon etwa 20 Tage unterwegs. Unter dieser andauernden Belastung kann es schon passieren, dass der Körper nicht mehr ganz so gesund ist. Ich habe mit meiner kleinen Erkältung ja noch mal Glück gehabt. Auch der Hustensaft, den ich mir jetzt gekauft habe, tut mir gut.
Aber gestern hatte ich noch mit dem englischen Ehepaar Mary und John in El Burgo Ranero auf der Bank in der Abendsonne gesessen, und heute ist John mit Herzbeschwerden hier in León in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Mary sorgt sich natürlich sehr. Sie holt gerade die Sachen ab und wird in ein Hotel in der Nähe des Krankenhauses ziehen.
Das kanadische Paar kenne ich nun auch schon von einigen Herbergen. Seit gestern liegt auch die Ehefrau hier mit einem Infarkt auf der Intensivstation. Es geht ihr gar nicht gut. Der Ehemann ist sehr verzweifelt und weint, als er uns erzählt, in welchem Zustand er sie heute angetroffen hat. Bedauernd hören wir ihm zu. Die Französin meint, vielleicht könnte er sogar hierbleiben. Sie fragt auch gleich eine Nonne, die gerade über den Hof kommt. Diese Nonne beschließt dann auch, dass der Ehemann so lange in der Herberge wohnen kann, bis die Frau entlassen und transportfähig ist. Das ist durchaus nicht üblich, normalerweise muss man am nächsten Tag die Herberge verlassen.
Diese beiden Kanadier sind so nette und aufrichtige Menschen. Sie haben schon ganz Europa bereist, kennen auch viele Gegenden in Deutschland und Frankreich. Von Italien waren sie besonders
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