Mein Jakobsweg
betrete ich das Haus durch eine große, antik eingerichtete Halle. Der hospitalero trägt meinen Rucksack hinauf. Ich wähle ein Bett ganz hinten unter der Schräge. Es liegt also niemand über mir. Hier gibt es viele, sehr saubere Waschbecken und Duschen mit einem langen Balkon davor. Sogar Schüsseln für die Wäsche sind da. Durch die Hintertür gelangt man in einen Innenhof mit Sitzgruppen, Waschmaschinen und Leinen. Ein Brunnen plätschert leise. Unter einem Sonnenschirm ruhe ich mich erst mal aus.
Wieder einmal stelle ich fest: Das Wohlbefinden eines Pilgers ist sicher auch zu einem großen Teil abhängig von der Beschaffenheit der Unterkünfte. Diese Herberge ist dafür eines der positivsten Beispiele.
Pilger zu treffen, die ich schon gesehen und gesprochen habe, ist immer wieder eine Freude. Umarmungen und Küsschen, wie geht es dir, wie war der Weg, immer wieder in allen Sprachen.
Die junge Französin geht jetzt mit zwei Gehstützen, sie gibt auf und fährt morgen zurück. Mit dem kranken Fuß, dem Rucksack und den Gehstützen zu reisen, wird nicht einfach sein. Ihre Freundin hat noch nicht mal Blasen an den Füßen und geht weiter.
Karin, die alle Pilgermessen erreichen wollte, hatte sich schon an ihrem ersten Tag viel zu viel zugemutet. Beide Kniegelenke waren so sehr geschwollen, dass sie nicht mehr weiterkonnte. Morgen früh fliegt auch sie schon wieder nach Hause.
Jeder, der seine Pilgerreise abbrechen muss, hat das Mitgefühl all derer, die noch weitergehen können. Allen sagen wir Buen Camino, bis zum nächsten Jahr.
Bis zur Kathedrale ist es nicht weit. Nur ein kleines Stückchen durch die Gasse nach rechts, und schon bin ich da. Es kommt mir vor, als formiere sich extra für mich gerade eine Tanzgruppe auf dem Vorplatz. In lange Gewänder gehüllt, bieten sie uns zu den verhaltenen Klängen von Saiteninstrumenten einen mittelalterlichen Tanz. Die Kathedrale ist außen reich geschmückt, mit verzierten Türmen und Türmchen auf allen Zinnen. Das Portal mit seinen aufwendigen Ornamenten und den zahllosen Figuren sucht sicher seinesgleichen. In der Magie des Augenblicks stehe ich staunend davor.
Als ich dann eintrete, erscheint mir das Innere im ersten Moment sehr dunkel. Doch gleich fallen mir die vielen hohen, schmalen Fenster auf, durch die das Licht wie in einem gebündelten Strahl die Skulpturen und Säulen erhellt. Strahl um Strahl kreuzt sich mit dem Lichteinfall anderer Fenster. So bilden sich Muster aus Licht von tief ergreifender Schönheit.
An den Wänden prangt viel Gold, doch ganz oben, mitten in all der goldenen Pracht, entdecke ich eine ganz normale, nackte Puppe mit schon reichlich verfilztem Haar. Die unerwartete Bescheidenheit im Kontrast zu den vergoldeten Wänden berührt mich, deshalb fotografiere ich die Puppe.
Der Bischofspalast von Gaudí neben der Kathedrale ähnelt eher einem Märchenschloss. Hierher könnten sie geritten sein, der Prinz und sein Dornröschen. Und sie lebten hier bis an das Ende ihrer Tage...
Auch ich habe mein Leben noch einmal geschenkt bekommen. Und nach Jahren des Leidens stehe ich nun hier und will alles erfahren und erleben, will diese begnadete Lebensphase mit all meinen Möglichkeiten nutzen.
Ich bin tief in diese Gedanken und Tagträume versunken, da höre ich plötzlich, wie jemand mit freudiger Stimme meinen Namen ruft. Einen Wimpernschlag lang denke ich, meine Mutter ruft mich.
Elke, schallt es wieder über den Platz. Suchend blicke ich mich um und erkenne Britta, noch ein gutes Stück entfernt von mir. Sie versucht sogar zu laufen.
Bin ich froh, dass du da bist, sagt sie, noch ganz außer Atem. Sie freut sich wirklich, denn sie weiß nicht, wo sie heute schlafen soll. In der öffentlichen Herberge und auch in den Hotels sind keine Betten mehr frei. Also nehme ich sie mit in meine Unterkunft.
Ich muss unbedingt noch Brot kaufen. Aber bisher habe ich kein Geschäft gesehen, also mache ich mich auf den Weg, um eines zu suchen. Zu meinem Glück treffe ich recht bald die beiden spanischen Schwestern. Sie beschreiben mir den Weg zu einer Bäckerei, die geöffnet ist. Das ist nicht selbstverständlich, denn sie sagen, heute sei hier ein hoher Feiertag. Deshalb kaufen wohl alle vor mir einen mit Puderzucker und Mandeln verzierten Kuchen. Ich nehme einen und gleich noch einen zweiten für Britta. Dieser Kuchen duftet so süß nach Mandeln! Für uns, die wir sonst nur Brot essen, ist er eine richtige Delikatesse.
Unterwegs ist mir ein Hotel
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