Mein Jakobsweg
viel sie heute insgesamt gegangen sind.
Mit dem Wetter habe ich wirklich Glück! Bei schönstem Sonnenschein zieht es mich wieder zu dieser Brücke. Ich gehe noch einmal auf ihr entlang und dann unter ihr hindurch ans Flussufer. Im Schatten der Bäume beobachte ich Eltern mit ihren Kindern, Jungen, die Fußball spielen, und Väter, die angeln. Ich begegne auch einem Schäfer mit einer recht großen Herde und Hunden, die für Ordnung sorgen, wie man sich das von einer Schafherde wie aus dem Bilderbuch eben vorstellt. Es ist ein wunderschöner Nachmittag. Manchmal kann ich mein Glück gar nicht fassen. Bei einem gemütlichen Abendessen mit frischem Brot, Käse und Wein geht dieser Tag zu Ende.
Von Hospital de Órbigo nach Astorga
O weltentrücktes Wandern durch den Morgen!
Wo liegt die Schwere nun, die mich bedrückte?
Fridolin Hofer
A llein zu pilgern ist doch am schönsten. In der Frühe des Morgens, es ist noch nicht einmal sechs, gehe ich an plätschernden Bächen vorbei und wieder durch einen kleinen Ort. Und obwohl ich nur langsam gehe, erhalte ich doch immer wieder eine andere Sicht der Umgebung. Bei Sonnenaufgang zaubert die Sonne zuerst lange Schatten. Sehr oft geht mein eigener Schatten mir voraus. Doch mit der Sonne wandert auch mein Schatten, bis er später hinter mir ist. Und ich verspüre einen inneren Frieden, wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt habe.
Während des Pilgerns gelangt sicherlich jeder Mensch zu einer ganz individuellen Erkenntnis, da ja auch unsere Lebensformen sich voneinander unterscheiden. Ich empfinde die Entschleunigung meines Körpers, meines Sehens und auch meiner Gedanken ebenso wie die Ruhe meiner Umwelt, die ich sonst als hektisch und bedrückend erlebe, als ein Geschenk des Himmels. Die Beschränkung auf ein Minimum aller Bedürfnisse lässt mich voller Demut die Natur als Schöpfung erkennen.
Es ist komisch, ich gehe und sehe und bin trotzdem in dieser Zeit ganz woanders, hat Ulrike zu mir gesagt, als wir gemeinsam über die Hochebene, die Meseta, unseren Weg gegangen sind. Ganz ähnlich empfinde ich auch.
Mit Peter zu pilgern, wäre allerdings schon sehr schön. Wir könnten in Eintracht schweigen, und er würde mir bei kniffligen Wegen helfen. Normalerweise bin ich immer mit Peter zusammen; wir sind jetzt schon über 40 Jahre verheiratet.
Doch eine so lange Pilgerreise kam für ihn nicht infrage. Einen Tag wandern sei ja noch in Ordnung, meinte er, aber keinesfalls wolle er mit einem schweren Rucksack tagelang unterwegs sein. Dafür sei ihm die Bundeswehr noch in zu unangenehmer Erinnerung. Und vor allem sei ihm das Schlafen mit so vielen Menschen in einem Raum unmöglich.
Ich nehme es ihm nicht übel. Ohnehin hatte ich mir immer vorgestellt, diesen Weg allein gehen zu müssen.
Als wäre ich bei uns in der Heide, kommen nun sandige Wege. Nur den vielen gelben Ginster haben wir nicht. Und in den windgeschützten Tälern blühen die Obstbäume.
Aber jeder Weg hat seine Tücken: Das Auf und Ab über die kleinen Hügel ist in dem rutschenden Sand nicht gerade angenehm. Waldwege aus festgetretener Erde wie bei uns gibt es hier wohl nicht.
Doch dann lasse ich Heide und Ginster hinter mir und wandere durch einen verwilderten Zauberwald aus alten, bemoosten Krüppeleichen. Fehlt nur noch der Prinz mit seinem Schimmel, der Dornröschen mit sich führt.
Heute überholen mich nur zwei peregrinas. Es sind wieder die beiden Spanierinnen. Wir halten kurz Rast. Die anderen Pilger sind wohl über die Landstraße gegangen. Das ist der bequemere Weg, aber längst nicht so schön.
Dann endlich, auf der letzten Anhöhe vor Astorga, komme ich an das große weiße Kreuz von Santo Toribio, das ich schon seit geraumer Zeit in der Ferne gesehen habe. Es ist gewaltig und ergreifend zugleich. Jeder macht jedem Platz, damit ein jeder das Kreuz allein in seiner ganzen symbolischen Klarheit, ohne störendes Beiwerk, fotografieren kann. Mein Foto zeigt das riesige steinerne Kreuz vor dem wolkenlosen Himmel mit den Häusern von Astorga im Hintergrund. Den Horizont bildet eine hohe Gebirgskette. Wenn ich ganz genau hinschaue, sehe ich das Weiß von Schnee.
Am Ende eines Tages ist der Weg immer am schwersten. Schon hoffte ich, heute keinen Berg mehr gehen zu müssen, aber in die Stadt geht es wieder steil bergauf. Oben im Zentrum von Astorga ist eine private Unterkunft, die sehr schön sein soll. Dort will ich hin.
Wieder einmal erschöpft bis ans Ende meiner Kräfte,
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